31.01.1969: Besetzung Institut für Sozialforschung

Die Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung (IfS)“ am 31. Januar 1969: Sie ist für Adorno sicherlich am schlimmsten. Sie zwingt ihn nämlich, zusammen mit von Friedeburg und Habermas die Polizei zur Hilfe zu rufen.

Die Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“ ist mit der Hintergrundgeschichte einer Aufnahme von Barbara Klemm verknüpft, die mit den Besetzern vor Ort ist, als die Polizei erscheint.

Die geplante Schließung des Soziologischen Seminars

Im Laufe des Januars 1969 richten sich in Räumen des Soziologischen Seminars (Myliusstraße 30) nach dessen Wiedereröffnung studentische Arbeitsgruppen ein. Aus der Sicht der Universitätsleitung ist ihre Tätigkeit nicht auf die Diskussion wissenschaftlicher Themen beschränkt. dort werden nämlich „gesetzwidrige Aktionen“ vorbereitet. Deswegen entscheiden Rektor Rüegg und die Institutsdirektoren Adorno, Habermas und von Friedeburg, ab Freitagmorgen, den 31. Januar 1969, das Seminargebäude erneut zu schließen.

Die geplante Schließung des Soziologischen Seminars

Dies veranlasst die beteiligten studentischen Gruppen, noch am Mittag, um 12:45 Uhr, unter Führung Krahls in das Institut für Sozialforschung in der Senckenberganlage 26 (Ecke Dantestraße) einzudringen, um dort die Öffnung der Räume des Soziologischen Seminars zu verlangen. Als von Friedeburg Krahl fragt, was er in dem Gebäude zu tun habe, erhält er die Antwort: „Das geht Sie gar nichts an!“ Von Friedeburg fordert daraufhin die Eindringlinge auf, das Haus sofort zu verlassen. Krahl erwidert ihm, er solle „die Klappe halten“ und stößt ihn beiseite. Auf zwei weitere Aufforderungen, unverzüglich das Institut zu räumen, versetzt Krahl, er – von Friedeburg – solle endlich verschwinden. Zudem kündigen die Eindringlinge an, das Institut bleibe besetzt und das Seminar in der Myliusstraße sowie andere Universitätseinrichtungen werde man stürmen.

Die Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“ als Reaktion auf die geplante Schließung des Soziologischen Seminars und die polizeiliche Räumung

Gegen 14:30 Uhr entscheiden die Institutsdirektoren gemeinsam, Strafantrag wegen Hausfriedensbruch zu stellen und die Polizei um Hilfe zu rufen, die sehr schnell mit großen Aufgebot eintrifft. Gegen 14:50 beginnt die polizeiliche Räumung, die bis 15:28 Uhr dauert. Insgesamt werden 76 Personen festgenommen. Zur Feststellung ihrer Personalien bringt man sie in das nahegelegene Polizeipräsidium an der Friedrich – Ebert Anlage und auf verschiedene Reviere. Bis zum Abend sind alle Sistierten mit Ausnahme von Krahl wieder auf freiem Fuß. Gegen ihn beantragt die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen Hausfriedensbruchs sowie wegen Landfriedensbruchs und Nötigung. In einer Liste werden die Daten der Festgenommenen erkennungsdienstlich vermerkt. Am Listenrand ist jeweils kenntlich gemacht, unter welcher Nummer das entsprechende Foto abgelegt ist und in welchem Polizeirevier die Aktion stattgefunden hat:

Hier kann diese Liste aufgerufen werden!

Dieser Aufstellung kann insbesondere entnommen werden, dass auch Frank Wolff zu den Eindringlingen gehört. Aber auch die Fotografin des folgenden Bildes – Barbara Klemm – gehört zu den Festgenommenen.

Besetzung Institut für Sozialforschung SDS

Adorno diskutiert mit den Besetzern, während im Hintergrund der Einsatzleiter der Polizei die Szene beobachtet.
© Barbara Klemm/FAZ

Die Fotoaufnahme erfasst ausdrucksstark die prekäre Lage Adornos: Der Einsatzleiter der herbeigerufenen Polizei beobachtet ihn kritisch aus dem Hintergrund. Der junge Mann, auf den Adorno in dieser ungewohnten Situation einredet, fixiert ihn ablehnend, während der junge Brillenträger im linken Vordergrund aufmerksam die Szene observiert. Atmosphärisch wirkt das Bild bedrückend und bedrohlich. Betont durch das Gitterfenster über seinem Kopf hat man gleichsam das Gefühl, Adorno befinde sich in einem Gefängnis.

Zwar sind die Daten von Barbara Klemm in der zitierten Liste ebenfalls erfasst. Jedoch bestätigt die Randbemerkung „Kein Foto vorhanden!„, dass man bei ihr auf eine lückenlose erkennungsdienstliche Maßnahme verzichtet. Jedenfalls bietet ihr die turbulente Situation unmittelbar die Chance, mit ihrer Kamera die Ereignisse zu dokumentieren. Die obige Aufnahme belegt dies überzeugend. In der Ausgabe der FAZ vom 1. Februar 1969 wird über diese Festnahme, gegen die sie sich gewehrt haben soll, berichtet und das obige Foto veröffentlicht:

Der Bericht der Polizei zur Räumung des Instituts für Sozialforschung vom 31. Januar 1969

In einem abendlichen Fernschreiben vom 31. Januar 1969, das an verschiedene hessische Dienststellen gerichtet ist, berichtet Kriminalbezirkskommissar Wieland von der Frankfurter Kriminalpolizei zusammenfassend über das Geschehen im Institut für Sozialforschung:

Polizeiliches Telefax vom 31. Januar 1969

Die Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“ aus der Sicht der Presse: Die Polizei verhaftet 76 Eindringlinge

Frankfurter Rundschau vom 1. Februar 1969

Die Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“ und das Protest-Teach-In am 31. Januar 1969

Auf einem Teach-In mit etwa zweihundert Zuhörern unterrichten am Abend des selben Tages einige der am Nachmittag festgenommenen und inzwischen wieder freigelassenen Studenten ihren Kommilitonen über den Hergang der Besetzung aus ihrer Sicht. Sie berichten, man habe den Direktoren des Instituts ein Ultimatum stellen wollen, die Schlüssel zum Seminar in der Myliusstraße bis 18 Uhr herauszugeben.

Wiggershaus, der die Räumung des IfS eine Farce nennt, behauptet in diesem Zusammenhang fälschlicherweise, die Eindringlinge hätten lediglich nach einem Raum zum Diskutieren gesucht, ohne irgendwelche weiteren Absichten zu haben. (Wiggershaus, Rolf: Die Frankfurter Schule. Geschichte, Theoretische Entwicklung, Politische Bedeutung. aaO,  Seite 702). Plötzlich seien Habermas und von Friedeburg erschienen und kurz nach ihnen die Polizei. Einige Sprecher berichten, sie seien „erkennungsdienstlich behandelt“ worden. Dabei sei ihre Forderung, sich mit ihren Anwälten in Verbindung zu setzen, abgelehnt worden.

Cohn-Bendit schaltet sich ein

Daniel Cohn-Bendit erklärt, es komme für die nächste Zeit darauf an, die Polizei möglichst „uneffektiv“ sein zu lassen. Es gelte, neue Wege der Aktionen zu finden, beispielsweise eine Konzentration der Polizeikräfte zu bewirken und dann anderswo aufzutreten. Für das laufende Semester, bemerkt Cohn-Bendit, blieben den Studenten nur noch zwei Wochen, Agitation und Aufstand zu proben. „Das Sommersemester wird das entscheidende für die Revolutionsbewegung sein“, fährt er fort, und kündigt für die kommende Woche Aktionen an, „die der Polizei zeigen, daß wir uns nicht einschüchtern lassen“.


Krahl in Untersuchungshaft

Besetzung Institut für Sozialforschung Klemm

SDS fordert Freilassung Krahls

Noch am Samstag, den 1. Februar 1969, nutzt der SDS eine ohnehin von ihm angekündigte Protestdemonstration durch die Innenstadt, die unter dem Motto „Freiheit für Spanien – Kampf dem Notstandsstaat“ steht, auch gegen die Festnahme der „76 Soziologiestudenten“ zu protestieren:

Besetzung Institut für Sozialforschung Polizei

SDS droht mit Generalstreik an den hessischen Hochschulen

Der SDS droht sogar mit Generalstreik in allen hessischen Hochschulen, wenn Krahl nicht umgehend aus der Untersuchungshaft entlassen werde:

Aufruf der Basisgruppe Naturwissenschaften für Teach-In – gegen Polizeispitzel in der Uni

Am Montag, den 3. Februar 1969, reagiert die sogenannte Basisgruppe Naturwissenschaften in einem Flugblatt, das vor der Mensa verteilt wird, auf die Räumung des Instituts für Sozialforschung. Sie ruft zu einem Teach-In am folgenden Tag auf:

Man protestiert gegen den angeblichen Polizeiterror in der Universität und die Zerschlagung der Arbeitsgruppen:

Statt Generalstreik werden am 3. Februar 1969 Lehrveranstaltungen gestört

Zwar fällt der angekündigte Generalstreik an allen hessischen Hochschulen aus. Jedoch gelingt es dem SDS, innerhalb der Universität am Montag, den 3. Februar 1969, mehrere Lehrveranstaltungen zu stören. Die Ordinarien Adorno, Habermas und von Friedeburg werden in Flugblättern als „professorale Hilfspolizisten im kritischen Mäntelchen bezeichnet:

Die FAZ vom 4. Februar 1969 beschreibt die Vorlesungsstörungen im Detail: Eier gegen von Friedeburg

Das Teach-In am 4. Februar 1969 zur Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“

Aktenverbrennung als Reaktion auf die polizeiliche Räumung des Instituts für Sozialforschung

Aktenverbrennung
Frankfurter Rundschau

Zur Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“:
Teddy die „Mimose, Friedelurch und Harpomas“ als Verantwortliche der Räumung

Schließlich nimmt von Meysenburg die „Marx-Brothers“ Adorno (Teddy, die Mimose), von Friedeburg (Friedelurch) und Habermas (Harpomas) ironisierend in einer Karikatur, die ebenfalls in der oben zitierten Dokumentation auf Seite 248 veröffentlicht ist, auf die Schippe:

Die Flugblätter zur Aktion „Besetzung Institut für Sozialforschung“

690203FlugblattBasisgruppe SlavistikPolizeispitzel Habermas und Räumung Institut für Sozialforschung
690203FlugblattBasisgruppenratGeneralprobe Schutzhaft – Räumung Institut für Sozialforschung
690203FlugblattBasisgruppe NaturwissenschaftenPolizeispitzel Habermas und Räumung Institut für Sozialforschung
690204FlugblattASTAAufruf Teach In-Gegen Polizeiterror
690204FlugblattAStADas Monopol der Gewalt hat der Staat
690204FlugblattAStAGegen das staatliche Monopol der Gewalt
690204FlugblattSDS AStAVorbeugehaft gegen Krahl
690204FlugblattASTA SDS LSDKein Schnellverfahren Krahl
690204FlugblattBasisgruppe AfEPolizeiterror – Aufruf Teach In-Gegen Ordinarienuniversität
690204PressenmitteilungAStASchnellgerichtsverfahren Krahl
690205FlugblattFachschaft JuraAn den Dekan-Solidarität mit Krahl
690206FlugblattASTA LSD SDSFreiheit für Krahl
690206FlugblattSDAJ, SpartakusAufruf Teach In-Gegen Vorbeugehaft Krahl
690206FlugblattBasisgruppe PolitologieHalbparität im Institutsrat
690211FlugblattBasisgruppe HistorikerAufruf-gegen Lethargie und Passivität
690211FlugblattNHBMarx Mao Marcuse-Ma Ma Ma
690212FlugblattFachschaft PhilosophieGegen Polizeieinsatz Institut für Sozialforschung
690214DokumentationPhil.FakultätChronologie der Störungen Philosophische Fakultät Dez68 bis Febr69
690225DokumentationRektoratDokumentation Studentenunruhe Okt.67 bis Febr.69