Der Begriff Studentenbewegung

Der Begriff „Studententenbewegung“ wird in vielfältigen Zusammenhängen verwendet. Siehe hierzu; Jahrbuch für Universitätsgeschichte 21 (2018); Themenschwerpunkt: Studentische Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert. Zitat:

Dieser Band berichtet über die jüngsten Forschungen zu Formen des studentischen Protests und der Gewalt an Universitäten in Deutschland und Österreich in der Moderne, vom 19. Jahrhundert bis zur heutigen Gegenwart. Er nimmt damit ein Thema auf, das von besonderer Brisanz in der öffentlichen Diskussion ist und leistet einen wichtigen Beitrag zum gegenwärtigen internationalen Diskurs über die Rolle von Universitäten in der Gesellschaft. Die Einzelbeiträge informieren über neue Erkenntnisse zur Methodengeschichte der historischen Forschung über das Mittelalter, die literarische Produktion der mittelalterlichen Expertenkultur, die Forschungsgeschichte der Chemie unter schwierigen politischen Rahmenbedingungen in der Neuzeit und die wenig bekannte Entwicklung einer agrarwissenschaftlichen Lehreinrichtung im 20. Jahrhundert.

  • Oliver Auge und Martin Göllnitz
    Radikale Überzeugungstäter? Studentische Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert: Konzeption und Fragestellung
    Seite 89
  • Konrad H. Jarausch
    Studentischer Protest im Wandel der Zeiten. Ideologische Seitenwechsel der Studierenden im 19. und 20. Jahrhundert
    Seite 103
  • Dirk Alvermann
    Demagogische Theoretiker oder radikale Sozialisten? Das Ende der Greifswalder Burschenschaft
    Seite 119
  • Miriam Rürup
    Eine Frage der Ehre. Anerkennungskämpfe jüdischer Studentenverbindungen in Kaiserreich und Weimarer Republik
    Seite 135
  • Martin Göllnitz
    Spirale der Gewalt. Radikalisierungsprozesse studentischer Gewalttäter in den Anfangsjahren der Weimarer Republik und der Ersten Republik Österreich
    Seite 155
  • Michael Grüttner
    Nationalsozialistische Gewaltpolitik an den Hochschulen 1929–1933
    Seite 179
  • Jan Mittenzwei
    Der „Greifswalder Blutsonntag“ und die Universität – studentische Gewalt und ihre Folgen
    Seite 203
  • Wolfgang Kraushaar
    Die „Tupamaros West-Berlin“ im Kontext des Transformationszusammenhangs studentischer in terroristische Gewalt
    Seite 221
  • Elisabeth Westphal
    Die Bologna Reform und studentischer Protest. Im Fokus: die uni-brennt-Bewegung 2009/2010
    Seite 235
  • Holger Zinn
    Ergebnisse und Ausblick
    Seite 257

Radikale Überzeugungstäter? Studentische Protest- und Gewaltformen zwischen den Befreiungskriegen und dem Bologna-Prozess (1789 – 1914)

Im Juli 2017 veranstalteten Prof. Dr. Oliver Auge und Martin Göllnitz, M.Ed., (Abteilung für Regionalgeschichte mit Schwerpunkt Schleswig-Holstein, Universität Kiel) in Kooperation mit dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, eine Tagung zu diesem Thema. Zitat:

„Die deutschen Universitäten des 19. und 20. Jahrhunderts stellten nicht nur Orte der Gelehrsamkeit dar, sondern wurden von der größten akademischen Gruppe, den Studierenden, auch als Räume perpetuierter Gewalt und suspendierter Normen wahrgenommen. Der radikale Teil der Studierenden bildete zwar stets nur eine Minderheit, trug seine Ideen und Ideologien aber wirkungsvoll aus der Gesellschaft an die Universitäten und von dort wieder zurück. Infolge dieser Entwicklungen blieben die Hochschulen weder von den Wertemustern des Vormärz, noch vom Radauantisemitismus der Nationalsozialisten oder von den Studentenunruhen der 68er verschont. Die Tagung, bei der nationale wie internationale Experten über studentische Protest- und Gewaltformen zwischen den Befreiungskriegen und dem Bologna-Prozess diskutieren, nimmt deutschlandweite Entwicklungen ebenso in den Blick wie repräsentative Fallbeispiele. Im Mittelpunkt stehen der Eigensinn jugendkultureller Lebenswelten und die politischen Aktionsformen potentieller Eliten. Immerhin rückten die radikalen Studierenden nach Abschluss ihrer Studien oftmals in führende gesellschaftliche oder staatliche Positionen auf und beeinflussten mit dem ihnen eigenen Politikverständnis die Entwicklung Deutschlands auf vielfältige Weise.“

Auch in der Epoche des Nationalsozialismus gab es eine Studentenbewegung

Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB; auch NSD-Studentenbund) war eine 1926 gegründete Gliederung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) für Studenten. Sie sollte im Auftrag der NSDAP die weltanschauliche Schulung der Studenten im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie übernehmen. Der NSDStB war wie alle Parteigliederungen streng nach dem Führerprinzip aufgebaut.

Der wachsende Einfluss des NSDStB zeigte sich in der zunehmenden Aggressivität studentischer Politik und in hasserfüllten Kampagnen gegen einzelne Hochschullehrer, deren Lehrveranstaltungen boykottiert oder gewaltsam gesprengt wurden. In diesen Aktionen agierte der NSDStB in der Regel als Speerspitze einer sehr viel breiteren Bewegung, der sich auch andere rechtsgerichtete Studentengruppen anschlossen. In dieser Hinsicht waren die eingesetzten Methoden identisch mit denjenigen des SDS und seiner Mitläufer.

Aktuell (2023) erinnert daran eine  Ausstellung am Schauplatz der Bücherverbrennung am Berliner Bebelplatz. Hierüber berichtet Susanne Messmer in der taz . Goebbels war nicht der Erfinder der Aktion, resümiert sie Befunde von Historikern. Maßgeblich war die „Deutsche Studentenschaft„: “ Dieser antisemitische Dachverband der Studentenschaften hatte parallel zum Aufstieg der NSDAP schon 1930 die Mehrheit in fast allen Studentenparlamenten errungen. Die Presse heizte die antiintellektuelle Stimmung an den Hochschulen weiter an. Es ist die tragende Rolle der Studierenden bei der Berliner Bücherverbrennung, die in der Ausstellung ‚Wer weiter liest, wird erschossen…‚ eine der Hauptrollen spielt. Die Deutsche Studentenschaft verstand sich – ‚inspiriert vom Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Geschäftsleute‘ – als eine Art geistige SA und organisierte mit großem Eifer und aufwendigem bürokratischem Formalismus die Kampagne unter dem Titel ‚Aktion wider den undeutschen Geist‘.“

Das Beispiel der Universität Greifswald in der Nazizeit: Der Prozess der Gleichschaltung

In einer hervorragenden Übersicht schildert dies rückschauend die Hochschule unter dem Gliederungspunkt Organisation der Studentenschaft, NS-Studentenbund, Kameradschaften:

Die moderne Organisation der Studentenschaft ist ein Kind der Novemberrevolution von 1918. Damals wurden die ersten Allgemeinen Studentenausschüsse gebildet und 1919 schließlich die „Deutsche Studentenschaft“, das erste deutsche Studentenparlament. 1920 führte Preußen ein neues Studentenrecht ein, das die Selbstverwaltung in allgemeinen Angelegenheiten und die Vertretung nach innen und außen vorsah. Im Zuge der Diskussion, ob die Aufnahme in die Studentenschaft nach dem Staatsbürgerschafts- oder nach dem völkischen Prinzip erfolgen sollte, erlitt das Preußische Kultusministerium, das hier die Vorstellung allseits gleichberechtigter Teile einer Kulturnation durchsetzen wollte, 1927 eine schwere Niederlage. Die Studentenschaft hatte bereits zu diesem Zeitpunkt einen völkischen Radikalismus entwickelt, der einen Numerus clausus für „fremdstämmige Studenten“ forderte. 1931 schließlich wurde der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) auf Reichsebene zur stärksten politischen Kraft innerhalb der Studentenschaft. Der latente Antisemitismus, der sich gegen Mitstudenten oder Lehrkräfte richten konnte, brach sich seitdem beinahe ungehindert Bahn an den Universitäten. Greifswald war die zweite deutsche Universität, an der der NSDStB bei den AStA-Wahlen bereits im Wintersemester 1930/31 die absolute Mehrheit erringen konnte. Zu einer Zäsur wurde der sogenannte Blutsonntag, der 17. Juli 1932. Die Nationalsozialisten inszenierten einen Aufmarsch, der in Auseinandersetzungen mit Kommunisten mündete. Unter den drei Getöteten befand sich auch ein nationalsozialistischer Student. Ihm wurde von der SA auf dem Greifswalder Friedhof eine beeindruckende Gedenkfeier ausgerichtet. Der Vorfall und sein Nachspiel ließen sich als Machtdemonstration der NSDAP interpretieren. Danach gingen Rektor und Senat auf die Studenten zu und unterstützten sie zum Beispiel bei Wehr- und Flugsport. Der studentische Wehrsport fand nicht nur in den zahlreichen Universitätseinrichtungen statt (etwa der Reit- und der neuen Boxhalle), sondern auch in einem Wehrsportlager in der Lubminer Heide, wo 60-100 Studenten untergebracht werden konnten und das dem Studentensturmbann unterstand. Zu den Elementen, die den Studienalltag und -ablauf erheblich veränderten, gehörte auch die allgemeine studentische Arbeitsdienstpflicht seit dem 16. Juni 1933, die auch rückwirkend auf Studenten im höheren Semester ausgedehnt wurde. Die Teilnahme am Arbeitsdienst wurde in der Folge eine weitere entscheidende Voraussetzung für die Studienzulassung. Die Maßnahme war dazu gedacht, die „Überfüllung“ der Universitäten zu korrigieren, später erwies sich Ad-hoc-Verpflichtung von Studierenden als nstrument zur Schließung von Lücken beim allgemeinen Arbeitskräftemangel. Die Stahlhelm-Hochschulgruppe, die als zweite politische Vereinigung der Studentenschaft noch kurze Zeit aktiv war, ging im Sommer 1933 im NSDStB auf. Zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ bestanden in Greifswald 21 Korporationen und acht akademische Vereine, auf die der NSDStB einen erheblichen Druck ausübte. Hatten die Verbindungen, insbesondere aufgrund der 1933 wieder gestatteten Durchführung von Schlägermensuren, die politische Entwicklung noch unbeeindruckt beobachtet oder unterstützt, so änderte sich das im Laufe der nächsten Jahre. Nicht alle Verbindungen überließen dem NSDStB kampflos das Feld und sie verfügten durch die Alten Herren nach wie vor über funktionierende Netzwerke, die einen gewissen Schutz boten. Der NSDStB hatte seit 1933 versucht, den traditionellen Verbindungen eigene „Kameradschaften“ entgegenzustellen, die in Kameradschaftshäusern untergebracht waren. Das erste dieser Häuser wurde im November 1933 in Greifswald eröffnet. Im Wintersemester 1933/34 stellten die Studentenverbindungen ihre Häuser ebenfalls für diesen Zweck zur Verfügung, so dass im Juni 1934 18 Kameradschaftshäuser für ca. 200 Studenten existierten. Darin sollten die neu immatrikulierten Studenten nach einer Anweisung des Reichsstudentenführers vom 20. September 1934 im ersten und zweiten Semester wohnen und Uniform tragen. Nach Widerständen der Korporationen milderte ein Erlass des Kultusministers, der die Freiwilligkeit betonte, diese Anweisung ab. In den Häusern sollte die Kameradschaftserziehung der HJ mit anderen Mitteln fortgeführt werden. Allerdings waren die Greifswalder Versuche in dieser Richtung wenig nachhaltig. Nach anfänglichen Erfolgen halbierte sich die Anzahl der im Kameradschaftshaus des NSDStB wohnenden Studenten 1934/35 auf etwa 24 und sank bis 1935 so weit ab, dass man das Haus schließen wollte. Das Verhalten der Verbindungen blieb nicht ungestraft. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft im NSDStB oder der NSDAP und in studentischen Verbindungen wurde verboten. Das genügte bereits, um ihr Ende zu besiegeln. Die alte Burschenschaft, die sich zuvor von der Deutschen Burschenschaft abgespalten hatte, löste sich am 17. Oktober 1935 auf. Ihre aktiven Teile wurden in Kameradschaften des NSDStB überführt. Als letzte Greifswalder Burschenschaften lösten sich die Germania (am 27. Juni 1936) und die Rugia (am 5. Juli 1936) auf. Die Altherrenverbände sollten der NS-Studentenkampfhilfe angegliedert werden. Als letzte studentische Vereinigungen, die in Greifswald noch neben dem NSDStB existierten, wurden im Oktober 1937 die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) und die Deutsche Christliche Studentinnen-Bewegung (DCSB) verboten. Bereits 1936 wurde ein Studentenheim der Bekennenden Kirche eingerichtet, in dem jedoch höchstens 10 Studierende wohnten. Mit Kriegsbeginn stellte es seine Arbeit ein. Insgesamt konnten die Greifswalder Kameradschaften die ihr zugedachte Funktion in der „Führerauslese“ nicht erfüllen. 1938 bestanden noch lediglich vier Kameradschaften in Greifswald. Diese entfalteten aber in den Kriegsjahren ein erstaunlich lebendiges gesellschaftliches Leben und hielten die Beziehungen zu den Alten Herren aufrecht. Die Deutsche Studentenschaft war in Fachschaften gegliedert, die 1935 den neu gebildeten regionalen Ämtern für Wissenschaft unterstellt wurden. In ihrer Tätigkeit erlangten die „Reichsleistungskämpfe“ größere Bedeutung. Die Teilnehmer widmeten sich politischen Themen, untersuchten aber auch naturwissenschaftliche Fragestellungen, die zur Stärkung der Autarkie des Deutschen Reiches beitragen sollten. Es entstanden auch mehrere Arbeiten zur Vor- und Frühgeschichte, etwa zur Besiedlung Pommerns durch Slawen und Germanen, die als Stellungnahme im Volkstumskampf betrachtet wurden. In diesem Sinne wirkte auch die „Grenz- und Ostlandarbeit“, von der man sich eine Profilschärfung der Universität versprach. Sie sah einen praktischen Grenzlanddienst vor, an dem 1935 immerhin 172 Studenten (15 Prozent der Immatrikulierten) teilnahmen und sollte zur wissenschaftlichen Bearbeitung von Grenzlandproblemen anregen. Im Rahmen dieser Tätigkeit erstellten die Studenten auch „Volkstumskarten“ von Dörfern in Hinterpommern, in denen die Abstammung der „kaschubischen Mischlinge“ verzeichnet war. Nach der endgültigen Ablehnung des Reichsministeriums für Wissenschaft und Erziehung, Greifswald zu einer „Ost- und Grenzlanduniversität“ zu erklären, verloren diese Bemühungen 1937 ihren wesentlichen Antrieb. In der Lehre blieben solche Themen jedoch präsent, etwa in der „Bevölkerungsökonomie“ des Volkswirts Theodor Oberländer oder in den Vorlesungen des Prähistorikers Wilhelm Petzsch.2

Eine Bildergalerie der Süddeutschen Zeitung zur Studentenbewegung

die Süddeutsche Zeitung präsentiert eine üppige Bildergalerie zur Studentenbewegung:

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