Streik WiSo-Fakultät

Streik WiSo-Fakultät vom 8. bis 10. Juni 1969.

Streik WiSo-Fakultät und der Beschluss der Fakultät vom 4. Juni 1969

Am 4. Juni 1969 wird in einem Teach-in, zu dem Studenten aller Fakultäten eingeladen sind, (Flugblatt WISO, Streik WiSo-Fakultät, vom 6.6.1969 ) die Durchführung eines sogenannten aktiven Streiks für die Lehrveranstaltungen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät vom 8.-10. Juni beschlossen.

Die Reaktion der Hochschullehrer

Als Gegenmaßnahme veranlassen die Hochschullehrer der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät den Rektor, zur Vermeidung gewalttätiger Auseinandersetzungen die Lehrveranstaltungen vom 9.-14. Juni ausfallen zu lassen. (UNI-REPORT Aktuell Nr. 7 vom 9.6.1969).

Die Reaktion der Fachschaft

Die WISO-Fachschaft veröffentlicht am 10. Juni 1969 eine Stellungnahme, in der sie zuerst mitteilt, es sei ihr unter Androhung von DM 10.000 Geldstrafe untersagt, den »Aufruf dieser progressiven Studentenschaft zu unterstützen«. Sie stimme jedoch den Forderungen dieser Studenten voll zu und habe erreicht, daß am 11. Juni 1969 eine außerordentliche Fakultätssitzung stattfinde, bei der eine Stellungnahme der Ordinarien zu den Vorgängen im Sauermann-Seminar und die Rückziehung der von Professor Sauermann gegen 39 Kommilitonen erstatteten Strafanzeige verlangt werde.

Streik WiSo-Fakultät – Rüegg berichtet über die dann folgende Fakultätssitzung

„Die Fakultätssitzung vom 11. Juni 1969 war das makaberste Spektakel, das ich während der gewiß nicht undramatischen Jahre der Studentenrevolte erlebt habe. Schon die Erklärung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät am 8. Juni hatte sich sehr betulich ausgedrückt mit der Formulierung: »In dieser Situation glaubten die Hochschullehrer, sich dazu entscheiden zu sollen, die Lehrveranstaltungen vom 9.-14.6.1969 auszusetzen, um jedem einzelnen die Gelegenheit zu bieten, die möglichen Konsequenzen der auf dem erwähnten Teach-in am 6.6.1969 beschlossenen Konfrontation zu bedenken«. (Flugblatt WISO >Aktion Streik< vom 6.6.1969). Hinterher hatten die Hochschullehrer noch mehr Angst vor dem bißchen Courage bekommen. Denn bevor die Studenten überhaupt Zeit hatten, etwas zu bedenken, hatte sich in der Fakultät ein »Sinneswandel in 3 Tagen« vollzogen, wie die Basisgruppe WISO ein Flugblatt zwischen dem 12. und 19. Juni triumphierend betitelte. (Flugblatt Basisgruppe WISO zur Fachschaftsvollversammlung am Donnerstag 19.6.(1969) >Sinneswandel in 3 Tagen?). Die Sitzung begann mit dem Beschluß, den Justitiar der Universität, der im Namen des Rektors bei der Besetzung des >Seminars für Wirtschaftliche Staatswissenschaften< interveniert hatte, nicht als Zeugen zuzulassen. Kurz darauf wurden entgegen dem vorher gefaßten Beschluß der Fakultät die zwei im Namen der Besetzer sprechenden Studenten nicht einzeln, sondern gemeinsam zu Erklärungen und Befragung zugelassen. Dies war jedoch nur die formale Einstimmung auf die Forderungen der Basisgruppe. Offenbar war die Mehrheit von vornherein zur Kapitulation bereit. Denn die beiden Vertreter Besetzer bekannten mit erfrischender Offenheit, ihre Aktionen seien keineswegs gegen Heinz Sauermann als Lehrer gerichtet, sondern allein politisch motiviert gewesen, um die autonomen Arbeitsgruppen als alternative Formen des Studiums durchzusetzen. Sie gaben auch zu – was sie später im erwähnten Flugblatt als >Selbstkritik< bestätigten21 – bei der Besetzung des Seminars habe die Frage, sich Arbeitsräume zu verschaffen, keine Rolle gespielt. Obwohl damit die Begründung der Aktion gegen Sauermann als Lügengespinst deutlich geworden war, bemühte sich die Fakultät um einen Beschluß, der den Forderungen der Basisgruppe inhaltlich voll entgegenkam. Ein Vorschlag von Herrn Meinhold »für eine die studentischen Anträge berücksichtigende Erklärung der Fakultät« (ebenda 22 Protokoll der außerordentlichen Fakultätssitzung am Mittwoch, den 11.6.1969) fand zwar trotz der in der ersten Pause vorgenommenen Überarbeitung durch einen Redaktionsausschuß keine Zustimmung, doch stellte die nach fast achtstündiger Sitzung schließlich mit einer Mehrheit von 16 Ja- gegen 7 Nein-Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommene Erklärung der Fakultät trotz einigen den Gesichtsverlust kaschierenden diplomatischen Pflästerchen eine Kapitulationsurkunde dar. Sie desavouierte Sauermann völlig, legitimierte hinterher die Aktion der Basisgruppe, verwendete den Begriff der Gewalt derart offen, daß die legitime Polizeigewalt mit der rechtswidrigen gleichgesetzt wurde, übernahm die studentische Sprachregelung der >dringend notwendigen Reformen< ohne Rücksicht darauf, daß die Reformbemühungen des Senats und der Studienreformkommission der Fakultät immer wieder durch den SDS sabotiert worden waren.( Walter Rüegg, Revolutionsschwärmerei oder Reformstrategie?, UNI-REPORT Nr. 3, 2. Jhg., 23.4.1969). Zu guter Letzt erniedrigte sich die Fakultät so weit, selbst vorzuschlagen, die Diskussion über alle von den Studenten geforderten Punkte nicht in den dafür vorgesehenen Gremien, sondern in einer Vollversammlung zu beginnen, deren manipulativer Charakter hinlänglich bekannt war.“

Walter Rüegg, Das Ende einer Liebe auf den ersten Blick, in: Erinnerungen an die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät und an die Anfänge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, zusammengestellt und herausgegeben von Bertram Schefold, S. 199 ff.