Toleranz

Aus dem Grundgesetz kann der Begriff der Toleranz verfassungsrechtlich unschwer abgeleitet werden:

Er ist die Haltung und Achtung des Einzelnen und von Gruppen, Meinungen und Verhalten von Menschen als Grundrechtsträger zu respektieren und zu dulden, soweit diese staatlich geschützt sind. Die Schutzprinzipien der Toleranz sind im Grundgesetz (GG) verankert, die hier konsequent und verbindlich umgesetzt werden. Am deutlichsten wird dies im Art 2 Abs.1 GG. Jedoch sind die folgenden Regelungen in diesem Zusammenhang gleichermaßen wichtig.

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,
soweit er nicht die Rechte anderer verletzt
und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Art 1 [Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechtsbindung]

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Art 2 [freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person]

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) 1Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 2Die Freiheit der Person ist unverletzlich. 3In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art 3 [Gleichheit vor dem Gesetz]

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) 1Männer und Frauen sind gleichberechtigt. 2Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) 1Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. 2Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Art 4 [Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, Kriegsdienstverweigerung]

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) 1Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. 2Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Art 5 [Recht auf freie Meinungsäußerung, Medienfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit]

(1) 1Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. 2Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. 3Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) 1Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. 2Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Art 8 [Versammlungsfreiheit]

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Art 12 [Berufsfreiheit]

(1) 1Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. 2Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Kant und der Begriff der Toleranz – Im Zweifel für den Zweifel!

Kant und Toleranz, Von Königsberg nach Kaliningrad (Archiv)

Rechtlich und politisch spannend ist Kants „allgemeines Rechtsgesetz“, das das Kernstück seiner Rechtslehre bildet. Nach dem allgemeinen Rechtsgesetz ist eine Handlung genau dann rechtmäßig, wenn der Handelnde die Freiheit des Anderen zu tun oder zu lassen, was er will, in größtmöglichem Maße achtet. Der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit steht damit im Mittelpunkt des allgemeinen Rechtsgesetzes. Bedingung ihres Schutzes ist lediglich, dass sich diese Freiheit mit der Freiheit von jedermann vereinbaren lässt. Offensichtlich greifen die oben zitierten Regelungen des Grundgesetzes auf diese Idee zurück und füllen sie mit Leben.

Das Paradoxon der Intoleranz

Karl Popper beschreibt das Paradoxon zuerst 1945 in seinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 1.

Als intolerant definiert er einen Menschen oder eine Gruppe nach folgenden Eigenschaften:

  1. Verweigerung eines rationalen Diskurses.
  2. Aufruf zur und Anwendung von Gewalt gegen Andersdenkende und Anhänger anderer Ideologien.

„Weniger bekannt ist das Paradoxon der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Herbert Marcuse und „sein“ Begriff der repressiven Toleranz

Im Verlauf der Studentenbewegung wird bei der Umsetzung der Theorie in die Praxis gerne auf den von Herbert Marcuse entwickelten Begriff der repressiven Toleranz zurückgegriffen.