Adalbert Erler

Erler ist seit 1950 Ordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte. Er wird 1972 emeritiert. * 1. Januar 1904 in Kiel; † 19. April 1992.

Das Amt des Dekans übt Erler in den Studienjahren 1952 und 1958 aus. Ein Makel seines Werdegangs: 1940 tritt er der NSDAP (Mitgliedsnummer 7.903.499) bei (NSDAP-Kartei, Bundesarchiv Lichterfelde, BArch R 9361-VIII-Kartei).

Professor Albert Erler Studentenbewegung

DStörungen der Vorlesungen von Erler

Ziel der ersten Aktion im WS 1968/69 ist Professor Erler mit seiner „Einführung in die Rechtswissenschaft“.

Erler weigert sich jedoch von seinem Vorlesungskonzept abzuweichen, oder es gar zu diskutieren. Er betrachtet die Einführung als eine Hilfe, eine „Handreichung“ für den Anfänger. Aus seiner Sicht muß sie vom Einfachen zum Schweren führen und darf den Studenten nicht im „Wust der Wissenschaftlichkeit“ ertrinken lassen. „Es war vielleicht ein Fehler vom alten Erler, zu einfach angefangen zu haben“, formuliert er. Jeder habe bei solchen Einführungen seinen „Ansatz“. Seiner sei der historische. Er habe sich die Jurisprudenz von der Geschichte her zu eigen gemacht. Eine Abhandlung nach einzelnen Rechtsgebieten, wie sie in vielen Einführungsvorlesungen praktiziert werde, halte er für bedenklich. Er wolle in seiner Vorlesung Experten zu Wort kommen lassen, so einen Fachmann der Schiedsgerichtsbarkeit und den Leiter des Jugendgefängnisses Rockenberg. Als Themen nennt er: „Die Römer als Juristen“, „Deutsches Recht und englisches Recht“, „Geschichte des Gleichheitsgrundsatzes“, „Zeitstil und Rechtsstil“, „Recht als Kulturerscheinung“ und „Große Prozesse“, so auch derjenige Jesu und zwei Verfahren aus dem Dritten Reich.[2]

Am 31.10. und 05.11.1968 wird dann die von Erler gehaltene Vorlesung „Einführung in die Rechtswissenschaft“ gestört. Durch fortlaufende Fragen versuchen die Fachschaftsvertreter eine Stellungnahme zu Themen zu erzwingen, die nach Meinung des Dozenten nicht in der gewünschten Form oder an der gewünschten Stelle gegeben werden konnten. Erler stellt sich diesen Fragen. Um eine ordnungsgemäße Fortsetzung der Vorlesung zu sichern, bittet daraufhin der Dekan der Fakultät Lüderitz am 5.11.1968 den Fachschaftssprecher Schacht um eine Aussprache und bietet im Auftrag Erlers eine Diskussion außerhalb der Vorlesung an. Die Fachschaftsvertretung beharrt jedoch darauf, die „Diskussion“ müsse in der Vorlesung stattfinden. Daraufhin hindert sie am 07.11.1968 Erler, die Vorlesung zu halten.

Die Reaktion der Kollegen von Erler

Dies löst eine öffentliche Erklärung von verschiedenen Professoren der Rechtswissenschaftlichen Fakultät aus, zu denen Bernhardt, CoingDenninger, Diestelkamp, Geerds, Kronstein, Lüderitz, von Marschall, Rehbinder, Schlochauer, Schiedermair, Simon und Erler selbst zählen.[4] Bemerkenswert ist vor allem, daß sie in einer Solidaritätsaktion ankündigen, aus Protest keine Veranstaltungen anzubieten. Sie erklären unter anderem,

daß durch das berichtete Verhalten an drei Tagen eine Vorlesung unmöglich gemacht wurde. Verschiedene Äußerungen wecken den Eindruck, ein Teil der Studentenschaft wolle einen bestimmten Inhalt der Vorlesung den übrigen Beteiligten vorschreiben. Wir sehen darin einen schweren Angriff gegen die Freiheit der Lehre und des Lernens. Um der gesamten Studentenschaft, der Universität und der Öffentlichkeit den Ernst der Lage vor Augen zu führen, werden wir heute, Donnerstag, den 7.11., ab 15 Uhr und am Freitag, den 8.11., keine Vorlesungen und Übungen halten. (Die privatissima angekündigten Seminare werden fortgeführt.) Damit wird weder das Recht zur Kritik noch deren eventuelle Begründetheit bestritten. Wir sind bereit, unverzüglich über die Probleme einer Vorlesungsgestaltung zu diskutieren und erneuern ausdrücklich das vom Dekan gemachte Angebot.“[5]

Die Gegenkonzepte der Juristischen Fachschaft

Nach diesem Signal der Fakultät kann Erler zunächst am 14.11.1968 fast ungestört seine Vorlesung fortsetzen. Jedoch täuscht die Ruhe. Schon am 19.11.1968 melden sich erneut die Fachschaftsvertreter in der Vorlesung zu Wort, entwickeln abermals die erwartete Gegenkonzeption. Am gleichen Tage erklären Fachschaftsmitglieder den Assistenten Erlers offen, die Maßnahmen richteten sich nicht gegen den einzelnen Hochschullehrer, vielmehr solle die Störung der Vorlesung lebendiges Beispiel gegen die „Ordinarien – Universität“ sein.[6] Die zwei nächsten Vorlesungsstunden am 21.11. und 26.11.1968 werden nur geringfügig gestört. Am 28.11.1968 kommt es dann aber zum endgültigen Eklat. Erler berichtet:

Zudem legt die juristische Fachschaft eigene Vorschläge zur Gestaltung der Lehrveranstaltung vor. So fordert sie zum Beispiel, sich mit der politischen Justiz (Grundrechte, Nazi – Apo-Prozesse) auseinanderzusetzen.[3] Man könne erwarten, daß in einem Kolleg dieser Art die sozialen Bezüge des Rechts dargestellt werden, so wie dies Professor Wiethölter in seinem Funkkolleg „Einführung in die Rechtswissenschaft“ tue.

In einem offenen Brief vom 4. November 1968 wendet sich Schacht als Sprecher der Juristischen Fachschaft provokativ an Erler und erklärt, es sei an der Zeit, zu diskutieren, ob eine Einführung in die Rechtswissenschaft sich an allgemeinen Lebensweisheiten und Bauernregeln ausrichten könne, oder ob sie sich nicht vielmehr an Problemen wie Rechtsstaat – Sozialstaat, Drittwirkung von Grundrechten, Arbeitsrecht, Öffentliches Recht – Privatrecht, politisches Strafrecht usw. orientieren sollte.[1]

Die Reaktion von Erler

Schließlich reagiert Erler unversöhnlich mit einem offenen Brief:

Am 28. November kam es – für die Fakultät und mich unerwartet – zu neuen Störungen, wieder unter Mißbrauch des an sich legitimen studentischen Fragerechts. Ein Student, der am 26. November in provozierender Haltung auf der vorderen Bank gesessen hatte, meldete sich als erster. Als ich seine Meldung ignorierte, meldeten sich mehrere andere Studenten und unterbrachen die Vorlesung durch lautes Dazwischenreden. Einer der Störer begann seine Ausführungen mit den Worten: „Herr Professor, dieses ist das vierte Mal, daß Sie …“ (der Rest ging in Unruhe unter); auch auf diesen Redner bin ich nicht eingegangen, da schon die genannten Worte nicht eine Frage, sondern eine persönliche Kritik erwarten ließen. Nunmehr erhob sich das Fachschaftsmitglied Michael Thomas und erklärte: „Herr Professor Erler, was sie da machen, das geht zu weit!“ (gemeint war wohl die unbeirrte Fortsetzung meiner Vorlesung). Als ich danach pflichtgemäß mit meiner Vorlesung fortfuhr, verließ etwa die Hälfte der Studenten unter der Führung von Herrn Thomas den Saal. Mit der anderen Hälfte führte ich die Vorlesung zu Ende – nun ungestört. Draußen warteten inzwischen die Herausgegangenen. Durch eine Doppelreihe zischender Studenten mußte ich das Haus verlassen. Dieses ist die vierte Störung meiner Vorlesung gewesen. Alle meine verschiedenartigen Versuche, die Vorlesung mit wechselnden Methoden im Interesse der willigen Studenten fortzuführen, sind fehlgeschlagen. Die Störungen sind berechnet und haben Ziele, für welche meine gegenwärtige Vorlesung gewiß nur ein Vorwand ist (meine anderen Vorlesungen und Übungen verlaufen bisher störungsfrei). Bei einer Fortführung der Vorlesung „Einführung in die Rechtswissenschaft“ wären neue und wohl auch noch schwerere Störungen mit Sicherheit zu erwarten. Unter diesen Umständen halte ich die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Lehre in der Vorlesung nicht mehr für gegeben. Zudem ist es für den Hochschullehrer unzumutbar und mir unmöglich, in der geschilderten hochgespannten Atmosphäre die Vorlesung weiter zu halten. Ich habe daher meine Vorlesung „Einführung in die Rechtswissenschaft“ nach Rücksprache mit dem Dekan der Fakultät mit Wirkung ab 3. Dezember bis auf weiteres absagen müssen.“

Dies zeigt Erler dem Kultusminister an und bittet, zu prüfen, inwieweit im Wege der Rechtsaufsicht Fachschaft und Studentenschaft angehalten werden könnten, eine störungsfreie Fortsetzung der Vorlesung zu gewährleisten.[7] Wie befürchtet, beginnen dann die ersten Störungen in seiner bis dahin ruhig verlaufenden Vorlesung „Verfassungsgeschichte der Neuzeit“, und zwar durch dieselbe Gruppe von Störern, welche die Durchführung der Einführungsvorlesung bereits unmöglich gemacht hatte. Mit weiteren Störungen der Vorlesung „Verfassungsgeschichte“ sei zu rechnen, berichtet Erler in einem Schreiben an den Rektor.[8]

[1]  Brief>04.11.1968>>(Offener) Juristische Fachschaft an Erler: Kritik an Einführung in die Rechtswissenschaft
[2]  xxx.
[3] Flugblatt>06.11.1968>>Juristische Fachschaft: Vorlage eines Gegenkonzepts zur Einführungsveranstaltung Erler
[4] Hier fällt auf, daß Wiethölter die Erklärung nicht unterzeichnet hatte. Man kann dies als eine Distanzierung von Erler interpretieren.
[5]  Pressemitteilung>07.11.1968>>Rektor: Protest gegen Störung Lehrveranstaltung Erler und Einstellung eigener Lehrveranstaltungen für zwei Tage
[6]  xxx.
[7]  xxx.
[8]  Bericht>03.12.1968>>Erler an Rektor: Darstellung der Störung seiner Vorlesung „Einführung in die Rechtswissenschaft


Weitere Vorlesungsstörungen bei den Kollegen Erlers, nämlich Schiedermair und Coing im WS 1968/69)

Sicherlich hatten einige Hochschullehrer der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zunächst angenommen, Erler habe sich wegen seines eigenwilligen Unterrichtsstils die Störungen selbst zuzuschreiben. Anfang Dezember weiten sich allerdings die Aktionen in der Rechtswissenschaftlichen Fakultät aus. Mit einem Flugblatt vom 3.12.1968 rufen die Juristische Fachschaft, LSD, SHB und SDS für den 4.12.1968 zu einem Go In bei Coing auf, wobei mehrere Gründe genannt werden:[2] Vor allem bezieht man sich nunmehr auf den Streik in der AfE. Der hessische Kultusminister wolle eine technokratische Hochschulreform aufzwingen, die darin bestehe, die Grundwissenschaften Politik und Soziologie nicht mehr zu lehren und das Studium auf 6 Semester zu beschränken. Damit solle das Entstehen eines gesellschaftskritischen Bewußtseins der zukünftigen Lehrer, das aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Politik und Gesellschaft notwendig resultiere, verhindert werden. Diese Ausbildungsreform an der AfE laufe auf den Zustand hinaus, der an der juristischen Fakultät schon lange bestehe. Die Grundlagendisziplinen Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtstheorie würden nicht oder nur selten gelesen und stünden in keinem Bezug zu dem Stoff der einzelnen Fächer. Diesen unhaltbaren, unwissenschaftlichen Zustand zu beseitigen, hätten kritische Studenten und die juristische Fachschaft schon lange gefordert. Die praktischen Versuche einiger Erstsemester ihre passive Rolle durch Fragen abzulegen, habe Erler mit dem Abbruch der Vorlesung „Einführung in die Rechtswissenschaft“ beantwortet. Coing wolle diesen Zustand rechtlich fixieren. Er habe erklärt:

Parallel zu den Aktivitäten gegen Erler versucht der SDS auch andere Hochschullehrer der Juristischen Fakultät zu attackieren. So ruft er mit einem Flugblatt vom 25.11.1968 dazu auf, Go – ins bei den „akademischen Helfershelfern der politischen Justiz“ vorzubereiten. Die juristischen Fakultäten produzierten nur rechtspositivistische Fachidioten, die ohne weiteres in der Lage seien, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge in Prozessen zynisch für irrelevant zu erklären. In Frankfurt könne sich zum Beispiel noch ein Professor Schiedermair als Vertreter des Rechtspositivismus breitmachen. Als Rechtspositivist übe er die „unpolitische“ Subsumption unter abstrakte Rechtsnormen ein. Er könne aber auch politische Praxis entwickeln. Sie bestehe bisher in der Unterschrift unter das reaktionäre „Marburger Manifest„.[1]

Notwendig ist eine ausdrückliche Bestätigung der Lehr – und Forschungsfreiheit der einzelnen an der Universität tätigen Personen. Dabei muß man den Mut haben, diesen Personenkreis abzugrenzen. Ich würde ihn mit demjenigen der Hochschullehrer gleichsetzen.“[3]

Man habe den Mut, zu einem Go – in aufzurufen“, um Coing „in feierlicher und eindringlicher Form zur Rechenschaft zu ziehen“. Dann heißt es weiter:

Im gegenwärtigen Ausbildungssystem wird die gesellschaftliche Funktion der Juristen nicht diskutiert, wird ihre zweifelhafte Rolle bei der Verurteilung der APO – Demonstranten und der Vorwurf der Klassenjustiz nicht zur Sprache gebracht. Die Ordinarien sind die Garanten dieser Diskussionslosigkeit! Wir fordern die Abschaffung des Ordinarienprinzips, weil es den reaktionären Professoren gestattet, die wissenschaftlich nicht legitimierten Inhalte einer Vorlesung oder Übung autoritär zu bestimmen. Die liberalen Professoren, die die Illegitimität des gegenwärtigen Prüfungs – und Ausbildungssystems z. T. erkannt haben, können das Ordinarienprinzip nicht beseitigen (z. B. wegen ihres Beamtenstatus). Deshalb müssen die Studenten in selbsttätiger Organisierung des Wissenschafts – und Lernbetriebs die Ordinarienuniversität bekämpfen und damit die Demokratisierung der Hochschule vorantreiben. Macht das euren Kommilitonen klar! Go – In zu Coing – Mittwoch, 4.12.68 – 10 Uhr in Hörsaal H8.“[4]

Auffallend ist hier die Aufspaltung der Hochschullehrer in „liberale Professoren“ – gemeint sind hier beispielsweise Wiethölter und Denninger – und „reaktionäre Professoren“. Adressaten der Störungen sollten die Reaktionäre sein. Sie gilt es, zu bekämpfen.

Wie auch auf einem Plakat angekündigt wird die Vorlesung Coings am 4.12.1968 gestört. In einem an den Rektor gerichteten Schreiben[5] berichtet er, es sei ihm nicht bekannt, wie die Fachschaft in den Besitz des Textes seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Hochschulgesetzes gekommen sei. Jedenfalls habe er einer Diskussion über seine Gründe für die von der Fachschaft angegriffenen Sätze nicht ausweichen wollen, nachdem die Mehrheit der anwesenden Studenten sich nicht dafür ausgesprochen habe, diese Diskussion in die Zeit nach der Vorlesung zu verlegen. Er halte es aber nicht für vertretbar, diese Diskussion über Fragen der Unterrichtsreform in einer Sachvorlesung fortzusetzen und werde daher in der nächsten Vorlesungsstunde versuchen, die Sachvorlesung wieder aufzunehmen. Sollte er daran gehindert werden, werde er dann die Vorlesung einstellen müssen. Als Coing den Hörsaal betritt, haben bereits Vertreter der Fachschaft und jener Hochschulgruppen, die Plakat und Flugblatt unterzeichnet hatten, das Podium besetzt und die anwesenden Personen, unter denen die eigentlichen Hörer der Vorlesung in der Minderzahl ist, über Sinn und Zweck des stattfindenden „Go – ins“ aufzuklären versucht. Coing schlägt als erstes den Anwesenden vor, die Hörer seiner Vorlesung darüber abstimmen zu lassen, ob die Vorlesung gehalten oder ob diskutiert werden solle. Der Vorschlag wird teilweise begrüßt, aus dem Kreis der „Gäste“ jedoch mit der Bemerkung abgelehnt, es handle sich nicht um seine Vorlesung, sondern um „unsere“ Vorlesung, die Zeiten seien vorüber, in denen ein Professor von „seiner“ Vorlesung sprechen könne. Auf Gegeneinwände aus dem Kreis der Vorlesungshörer kommt es schließlich zur Abstimmung. Die Mehrzahl entscheidet sich für eine Diskussion, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß sich diese Mehrheit in erster Linie auf die Stimmen der „Gäste“ stützt, während die Hörer der Vorlesung wohl überwiegend dafür eintreten, die Vorlesung stattfinden zu lassen. Die Diskussion eröffnet Fachschaftssprecher Schacht damit, daß er aus dem Memorandum von Coing zum Entwurf des hessischen Hochschulgesetzes[6] drei Passagen vorliest und ihn auffordert, zu dem, was er im Memorandum geschrieben habe, Stellung zu nehmen, insbesondere dazu, was er unter „Einschränkung der Lernfreiheit“ verstehe. Coing erläutert die in seinem Memorandum vertretene Auffassung, namentlich unter Hinweis auf seine in den USA und England gewonnenen Erfahrungen. Anschließend diskutiert er mit den Anwesenden Fragen der Lernfreiheit sowie Möglichkeiten einer Neugestaltung von Lehrbetrieb und Prüfung. Er schließt die Diskussion um 12 Uhr mit den Worten, er habe seine Ansicht dargelegt und werde in der nächsten Stunde am Montag seine Vorlesung wiederaufnehmen und fortsetzen.

Schon am nächsten Tag treten die Fachschaft Jura, der LSD, der SHB und der SDS mit einem weiteren Flugblatt an die Hochschulöffentlichkeit, das weitgehend demjenigen vom vorangehenden Tag entspricht. Unter dem Titel „Wir resignieren nicht!“ fordern sie nunmehr für den selben Tag dazu auf, eine Lehrveranstaltung Schiedermairs zu besuchen“.[7] Die beiden Assistenten des Hochschullehrers Niklisch und Gilles berichten über diesen „Besuch“ der Vorlesung „Wertpapierrecht“.[8] genauso wie Schiedermair selbst[9]: Im Hörsaal H I sind gegen 11.00 Uhr 250 bis 300 Studenten anwesend, die sich teils aus Juristen, teils aus Hörern anderer Fakultäten zusammensetzen. Die Juristen sind nur zum Teil Hörer der Wertpapier – Vorlesung, zum andern Teil sind sie geradezu aus anderen Vorlesungen „abgeworben“ worden. Gegen 11.10 Uhr betritt der Fachschaftssprecher Thomas Hartmann das Podium und berichtet über das Go – In bei Coing am Vortag, über den AfE – Streik sowie über den Anlaß dieses Go – Ins. Im Anschluß daran verliest Schachtals weiterer Fachschaftssprecher einige Passagen aus dem Marburger Manifest. Um 11.15 Uhr betritt Schiedermair den Hörsaal und das Podium. Schacht liest gleichwohl weiter aus dem Marburger Manifest vor, worauf ihm Schiedermair erklärt, es handle sich hier um seine Vorlesung. Auf die Forderung von Hartmann, man wolle hier Fragen der Reform des Staatsexamens diskutieren, erwidert er, er sei lediglich zu einer Diskussion über Sachfragen seiner Vorlesung „Wertpapierrecht“ bereit, was mit Beifall, den Zurufen „Störer raus“, aber auch Zischen quittiert wird. Schiedermair weist darauf hin, in dem Flugblatt sei allerdings ein Punkt angeschnitten, der ihm seit jeher besonders am Herzen gelegen habe, nämlich Reformfragen des Examens. Er sei bereit gewesen, solche Fragen außerhalb der Vorlesung mit den Studenten zu diskutieren; diese Möglichkeit sei ihm aber nunmehr genommen angesichts der infamen Unterstellungen und Diffamierungen im Flugblatt. Nach weiteren Versuchen, sich Ruhe zu verschaffen und auf seine Frage, ob er nunmehr die Vorlesung halten könne, tritt keine Ruhe im Auditorium ein; die Meinungen der Studenten prallen vielmehr aufeinander. Daraufhin verläßt Schiedermair gegen 11.20 Uhr den Hörsaal. Mit ihm geht etwa die Hälfte der Hörer. Hartmann und Schacht versuchen im folgenden mit den verbliebenen Hörern Fragen der Prüfungsreform zu klären und erläutern, ein persönlicher Angriff auf Schiedermair sei keineswegs beabsichtigt gewesen; man habe nur Sachfragen diskutieren wollen.[10]

[1]  xxx.
[2]  Flugblatt>03.12.1968>>Jura Fachschaft, LSD, SHB, SDS: Aufruf zu Go-In bei Vorlesung Coing am 04.12.1968
[3]  Flugblatt>03.12.1968>>Jura Fachschaft, LSD, SHB, SDS: Aufruf zu Go-In bei Vorlesung Coing am 04.12.1968. Hier handelte es sich um ein Zitat aus der Stellungnahme Coings zum Referentenentwurf des Kultusministers. Siehe:  Brief>08.10.1968>>(Auszug) Coing an Rektor: Bemerkungen zu dem Referen­tenentwurf Hessisches Hochschulge­setz.
[4] Flugblatt>03.12.1968>>Jura Fachschaft, LSD, SHB, SDS: Aufruf zu Go-In bei Vorlesung Coing am 04.12.1968
[5] Bericht>04.12.1968>>Coing an Kultusminister: Vorlesungsstörung am 04.12.1968
[6]  Bericht>04.12.1968>>Coing an Kultusminister: Vorlesungsstörung am 04.12.1968
[7] Flugblatt>05.12.1968>>Fachschaft Jura, LSD, SDS, SHB: „Wir resignieren nicht!“
[8] Bericht>05.12.1968>>Gilles und Nicklisch: Über Go In Vorlesung Schiedermair am selben Tag
[9] Bericht>05.12.1968>>Schiedermair an Kultusminister: Über Vorlesungsstörung am selben Tag