Kampfsprache

Die Kampfsprache – Begriffe und Definitionen

Die Zeit der Studentenrevolte ist eine Periode der Agitation. Allein die Vielzahl der Flugblätter und die hohe Frequenz von über 50 Teach Ins – bestätigt dies mit Nachdruck. Der Agitierende setzt alles daran, seinem Verhalten positive Begriffe zuzuordnen und den Gegner durch negativ besetzte Worte zu stigmatisieren. Notfalls werden neue Begriffe geschaffen oder überkommene umdefiniert. Andererseits versucht ihrerseits die Gegenseite, dies richtigzustellen, oder nutzt dieselbe Strategie. Eine Kampfsprache greift um sich.

Marcuses Sondersprache

Herbert Marcuse fordert ausdrücklich, die Protestbewegung müsse in ihrer antiautoritären Haltung eine eigene, angeblich nicht manipulierte, eigene Sondersprache im Kontrast zum sprachlichen Universum des Establishment entwickeln:

„Und doch hängen die radikale Verneinung des Establishments und die Kommunikation des neuen Bewußtseins immer deutlicher von einer eigenen Sprache ab, da alle Kommunikation von der eindimensionalen Gesellschaft monopolisiert und für gültig befunden wird. […] Heute ist der Bruch mit dem sprachlichen Universum des Establishments radikaler: in den militantesten Formen des Protests steigert er sich bis zu einer methodischen Umkehrung der Bedeutung.“

Marcuse, Herbert: Versuch über Befreiung. aaO, Seite 57 f.

Umdeutungen der üblichen Begriffe

Vorliegend werden solche sprachlichen Umdeutungen angesprochen, soweit es um die Interpretation von Demokratie, ÖffentlichkeitFaschismus, Terror und Gewalt geht2]. Außerdem wird im Verlauf der Darstellung einzelner Ereignisse dies von Fall zu Fall thematisiert. Dies gilt zum Beispiel für die Auseinandersetzungen um die Definition und den Vorwurf von „Linksfaschismus“, an der sich unter anderem Habermas, Rüegg und der SDS beteiligen sowie für den Vorwurf des Rektors, dem SDS gehe es um die „Einübung faschistischer Terrormethoden“ (19.11.1967).

Im übrigen kann es jedoch nicht Aufgabe der vorliegenden Recherche sein, dies umfassend nachzuweisen. Dies wäre sicherlich eine lohnende Mission, denn der Absolutheitsanspruch extremistischer Doktrinen realisiert sich stets auch in der Sprache, die sie für sich nutzt. Besonders ausdrucksstark ist in der vorliegend behandelten Epoche, wie in verschiedenen Konstellationen, die Umgangsformen Du und Sie eingesetzt werden. [Siehe hierzu: Siehe hierzu grundsätzlich: Zimmer, Dieter E.: Redens Arten. Über Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch. aaO, Seite 53 ff., (Das Brüderliche Du. Über Anredekonventionen), mit weiteren Nachweisen]. Die Genossen unter sich greifen zum proletarisch-solidarischen „Du“, das die Zugehörigkeit zu einer fortschrittlichen Gemeinschaft vom Gleichgesinnten signalisiert, die das gemeinsame, richtige Bewußtsein haben. Hingegen wählt der Polizist im unmittelbaren Einsatz das geringschätzige und ehrverletzende Du, das den Gegner feindselig herabsetzt:

„Ich wurde sofort von einem Polizisten ergriffen und gegen einen seiner Kollegen geworfen, der mir einen Schlag auf den linken Hinterkopf versetzte und mich zurückschleuderte. Daraufhin erhielt ich einen Schlag hinter das rechte Ohr und fiel hin. Beide Polizisten begleiteten ihre Schläge mit dem Ausruf: ‚Da hast Du noch eins, Du Schwein!’“

Artikel>16.04.1968>>DISKUS Extrablatt 01.041968: Demonstration Attentat Dutschke

Im gleichen Sinne setzt es der Student in der Beziehung zum Hochschullehrer ein, hier aber, um lächerlich zu machen, auszugrenzen und Autorität in Frage zu stellen:

„Da geht die Tür auf, Imhoff und jemand, den er als seinen Assistenten bezeichnet, erscheinen. Imhoff hat ein Problem: ‚Schmidt, ich habe eine Frage an Dich.‘ Schmidt (Dr. phil.)

[Anmerkung Riehn: Es handelt sich um Alfred Schmidt, der damals noch Assistent im Philosophischen Seminar bei Adorno ist.]

schnappt nach Luft und wird blaß. ‚Zunächst einmal, seit wann duzen wir uns denn, Herr Imhoff?‘ Dieser: ‚Schmidt, ich möchte Dich fragen, warum Du die abstrakte Kontinuität des Seminars aufrechterhältst …‘ Er wird unterbrochen: (Schmidt) ‚Aber die Kontinuität ist dann sehr konkret, wir erscheinen jeden Montag hier.‘ Imhoff: ‚Schmidt, ich möchte Dich fragen …‘ So geht das eine Weile weiter. Schmidt durchläuft alle Phasen einer autoritären Reaktion – er fordert Imhoff auf, den Saal zu verlassen, er weigert sich, mit ihm zu diskutieren, er macht die Tür auf, er kommt zurück, er wehrt sich seiner Haut, er findet keine Argumente mehr, er fordert Abstimmung über die Entfernung von Imhoff, da niemand abstimmt, holt er nicht die Polizei, sondern verläßt sein Seminar.“

Artikel>01.12.1968>>DISKUS: „Imhoff geht um!“

Allerdings läßt sich der gleiche Effekt auch unter Einsatz eines agressiven Sie’s erreichen, das den Adressaten aus dem Kreis der sich Duzenden ausschließt. So wenn Cohn Bendit von Friedeburg in dessen Lehrveranstaltung beleidigend angreift (Vorlesung von Friedeburg am 12.4.1969):

„So ein reaktionäres Schwein wie Sie habe ich noch nie er­lebt…, man sollte Sie kastrieren.“[7]

Artikel>13.04.1969>>FNP: „Neue Wege der Hochschulreform? – Daniel Cohn – Bendit will Professor entmannen

Das Du

Schließlich wird das Du im Studentenparlament auf unterstem Niveau benutzt, um den politischen Gegner fertigzumachen. So wie im folgender Konstellation, in der das ADS – Mitglied Bauer eine Frage an das SDS – Mitglied Zeitinger stellt:

„Bauer: ‚Zeitinger, kannst Du Dir eine Si­tuation vorstellen, wo studenti­sche Beiträge für die Finanzierung des SDS verwendet werden?‘ Zeitinger: ‚Selbst­verständlich nicht. Wenn Ihr vorhabt da wieder Affentheater zu spielen, dann kann ich Dir sagen, daß Du auf Deine affigen Fragen die affigen Antworten kriegst, wenn Du wirkliche Fragen hast, kann ich Dir empfehlen, sie richtig zu präzisieren, falls es Finanzfragen sind. Wenn Du solche Fragen stellen willst, die überhaupt keinen politischen Stellenwert ha­ben, typisch für einen geistig so impotenten Menschen wie Dich, dann kann ich nur sagen, dann wird eben darauf nicht geant­wortet‘.“

Niederschrift>06.06.1969>>Studentenparlament Sitzung: VDS, Stiftung Studentenhaus, u.a

Noch im Herbst 1967 redet der AStA – Vorsitzende Birkholz in einem Wahlaufruf die Kommilitonen mit Sie an. (Artikel>01.10.1967>>asta information: „Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen“)  Dies gilt auch für die meisten weiteren Flugblätter dieser Zeitspanne. Im Laufe des Jahres 1968 ändert sich die Anredeform. Nun ist von Kolleginnen und Kollegen die Rede, die aufgerufen werden, zu einer Diskussionsveranstaltung zu kommen:

„Wir wollen Euch Rede und Antwort stehen! – Wir wollen Eure Meinung zu unseren Aktionen und Forderungen hören. Darum haben wir beim Rektor der Frankfurter Universität  durchgesetzt, daß heute abend die Universität für alle geöffnet wird. – Kommt am Mittwoch, dem 17. April um 18 Uhr in die Universität (an der Bockenheimer Warte) zu einer Diskussion mit uns.“

Flugblatt>17.04.1968>>Reimut Reiche: „Kolleginnen und Kollegen

Oder der SDS im April 1968 in einem an die Vordiplomanden gerichteten Flugblatt:

„Nur die organisierte Solidarität aller Studenten kann einzelnen Boykottaktionen zum Erfolg verhelfen!! – Macht endlich Schluß mit den verordneten Prüfungen!! – Organisiert Eure politischen und wissenschaftlichen Interessen gegen die technokratische Hochschulreform!!“[11]

Flugblatt>25.04.1968>>Vordiplomanden der Soziologie: „Macht endlich Schluss mit den verordneten Prüfungen!

Ist es zunächst nur der SDS, der diese neue Umgangsform wählt, schleift sich das Du sehr schnell auch bei anderen Gruppierungen ein, so wenden sich selbst Assistenten der naturwissenschaftlichen Fakultät in einem Aufruf mit vertraulichem Ton an die „Kommilitonen“.

„Stimmt gegen die geplante Besetzung der Uni, stimmt für den Generalstreik am Mittwoch. Laßt die Stoßrichtung Eures Protestes nicht vom SDS verbiegen. Warnstreik – Ja – Provozierte Notstandsübung.“[12]

Flugblatt>14.05.1968>>Assistenten, Studenten Naturwissenschaftliche Fakultät: „Warnstreik – Ja

Oder der Liberale Studentenbund:

„Unterstützt den Vorlesungsstreik! – Beteiligt euch nicht an der Besetzung der Universität! – Wendet keine Gewalt gegen Streikbrecher an! – Bewegt die Professoren und Kommilitonen zur Diskussion!“[13]

Flugblatt>15.05.1968>>Streikende Studenten: Die Studenten streiken!

In der kurzen Zeitspanne von wenigen Monaten haben sich also zumindest in diesem Umfeld die Umgangsformen schlagartig geändert.

Kommunikationsrituale in Unordnung

Siehe hierzu: Dossier

Die 68er-Bewegung war eine Rebellion gegen die herrschende Ordnung. „Unordentliche“ Kleidung, lange Haare und offene Verstöße gegen Benimmformen waren Ausdruck dieser Rebellion. Auch in der Sprache und Kommunikationsritualen sorgten die 68er für reichlich Unordnung.

Joachim Scharloth, Revolution der Sprache? Die Sprache der 68er, Bundeszentrale für politische Bildung.