Max Horkheimer ist gegen die Idee einer Revolution und für Theorie ohne Praxis, 1951 und 1952 ist er Rektor der Universität, Direktor des Instituts für Sozialforschung.
„Was es heute zu verteidigen gilt, scheint mir ganz und gar nicht die Aufhebung der Philosophie in Revolution, sondern der Rest der bürgerlichen Civilisation zu sein, in der der Gedanke individueller Freiheit und der richtigen Gesellschaft noch eine Stätte hat.”
Horkheimer: Brief an Adorno v. 27. September 1958
Die Angst vor dem grausigen Ende
Norbert Rath, Horkheimers und Adornos Stellung zur Protestbewegung von 1968, in Kritiknetz – Zeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft, 2018:
Horkheimer: „Eine Revolution führt in die Diktatur“
„In der Tat stand ich immer kritisch zu einer ganzen Reihe von Momenten in der Gesellschaft, in der wir leben. Weil ich darüber geschrieben habe, können sich die Studenten auf mich berufen. Was mich von der Studentenbewegung unterscheidet ist meine Überzeugung, dass heute eine Revolution im Westen die Gesellschaft nicht verbessern, sondern, indem sie zur Diktatur führen müsste, wesentlich verschlimmern würde.“
Max Horkheimer, Gespräch mit Monika von Zitzewitz, zitiert nach: Alex Demirovic, Bodenlose Politik – Dialoge über Theorie und Praxis, in: Wolfgang Kraushaar, Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail, Hamburg, 1998, Seite 72.
Horkheimer: Gegen eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft
„Der Protest der Studenten geht weit über die ursprüngliche Forderung nach Universitätsreform hinaus und zentriert sich mehr und mehr auf eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft…―“
Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 14, Frankfurt am Main, 1988, 504
Horkheimer: „Die Affinität zur Geisteshaltung der nach der Macht strebenden Nazis ist unverkennbar.“
„Aus der durchaus berechtigten Forderung nach der längst fälligen Reform der Universität machen sie Ansprüche auf ihre Rechte, die auf die Vergewaltigung der großen Mehrheit der Studenten und selbst der reformwilligen Dozenten hinauslaufen, und diese Ansprüche machen sie mit Methoden geltend, die man nur als diejenigen eines linken Faschismus verstehen kann. Die Affinität zur Geisteshaltung der nach der Macht strebenden Nazis ist unverkennbar.“
Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 14, Frankfurt am Main, 1988, 512
Horkheimers Unverständnis, was die Rebellen wollen
„Aber all diese Überlegungen (…) helfen wenig zu verstehen, was in den intelligentesten und der aufrührerischen Rebellen (…) eigentlich vorgeht.“
Albrecht Wellmer, Die Bedeutung der Frankfurter Schule heute, in: in: Axel Honneth und Albrecht Wellmer (Hg.), Die Frankfurter Schule und die Folgen, Berlin, 1986, 505
Horkheimers Unverständnis, was die Rebellen wollen
„Dass sich Habermas in der Antiatom- bzw. Friedensbewegung engagierte und gegen die amerikanische »Politik der Stärke« vernünftige Gründe vortrug, brachte Max Horkheimer in Rage. In den Protestmärschen und Demonstrationen sah er nur »verärmlichte, verflachte und vulgarisierte« Kopien der Französischen Revolution. Habermas’ Literaturbericht »Zur philosophischen Diskussion um Marx und den Marxismus« in der angesehenen Philosophischen Rundschau brachte das Fass zum Überlaufen. Horkheimer schrieb im September 1958, auf dem Höhepunkt der Proteste der Friedensbewegung, den längsten Brief seines Lebens – neun Druckseiten – an Adorno. Horkheimer legte Adorno nahe, den »studentischen Propagandisten« Habermas, der mit seiner Marxinterpretation »nur den Geschäften der Herren im Osten Vorschub« leiste, möglichst schnell und lautlos aus dem Institut zu entfernen, da er diesem nur Schaden zufügen könne. Die Öffentlichkeit erfuhr von diesem Brief erst 1973 – vier Jahre nach Adornos Tod. Horkheimer revidierte sein krasses Fehlurteil über Habermas von 1958 bereits 1960 und empfahl den 30-Jährigen dem »American Jewish Committee« als »meistversprechenden Intellektuellen der Bundesrepublik«.“
Rudolf Walther, Studentenbewegung und »Frankfurter Schule«, Politische und mentale Barrieren, in: Frankfurter Hefte, 1. Juni 2018, Ausgabe 6, 2018
„Zehn Tage nach der Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 diskutierten Adorno und Horkheimer in einem Frankfurter Studentenheim mit dem SDS über Horkheimers Rede. Adorno vertrat zwar einen »emphatischen Praxisbegriff«, verglich aber Demonstrationen ungeniert mit den »Bewegungen eingesperrter Tiere«. Auf die aktuelle Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis angesichts des von einem Polizisten erschossenen Studenten, bekamen die Studenten von den beiden Vertretern der »Kritischen Theorie« keine Antwort. Hans-Jürgen Krahl vom Frankfurter SDS raunte von »anderen Mitteln als jene der klassischen Aufklärung«.“
Rudolf Walther, Studentenbewegung und »Frankfurter Schule«, Politische und mentale Barrieren, in: Frankfurter Hefte, 1. Juni 2018, Ausgabe 6, 2018
An Stelle des Proletariats trat die Theorie als „Statthalterin der Befreiung― und mit dieser die „theoretisierende Avantgarde“ als historisches Subjekt. Diese beschränkte sich, wie Horkheimer in „Traditionelle und Kritische Theorie“ – festhielt, allerdings auf einen kleinen Kreis: Das offenbart wiederum den elitären Charakter der Kritischen Theorie: Sie will so das Bürgertum in Form seiner Intelligenz wieder in die unverdiente Avantgarderolle versetzen. Signifikant scheint, dass den Intellektuellen laut Horkheimer auch gleich die bescheidene Aufgabe zufiel, „die Spannung zwischen ihrer Einsicht und der unterdrückten Menschheit, für die sie denken zu verringern. Nicht die Menschen selbst sollten also denken, sondern eine kleine Elite auserwählter Bildungsbürger erledigt das „für den als dumpf betrachteten Plebs. Das heißt: Anstatt mit den Menschen, vormundschaftlich für sie zu agieren. Ein ganz ähnlicher Gedanke findet sich übrigens bei Herbert Marcuse: Er meint, auf Grund der Angepasstheit müsse man schließen, „dass Befreiung Umsturz gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes bedeutet.“ Genau diese Haltung entspricht aber einer grundlegenden Voraussetzung bürgerlicher Herrschaft: Bevormundung und Ausschluss der Massen! Bei den Studenten förderten solche Überlegungen natürlich das avantgardistische, wenn nicht elitäre Verständnis der eigenen Rolle. So gesehen kann man die „Frankfurter Schule“ nicht von einem Verschulden freisprechen, ideologisch zu einer verhängnisvollen Isolierung der Studentenrevolte beigetragen zu haben.