Blockade der Universität

Turbulenzen am 15. Mai und 16. Mai 1968: Die Aktionen gegen die bevorstehende Verabschiedung des Notstandsgesetzes stören auch den Unterrichtsbetrieb der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Die Blockade der Hochschule ist der spektakuläre Höhepunkt der Entwicklung.

„Die streikenden Studenten“ gegen das Notstandsgesetz

Die Aktionen vom 15. Mai 1968 konzentrieren sich in Übereinstimmung mit den Ankündigungen des Vortages auf drei Ziele. Studenten, Schüler und Arbeiter sollen in einer Art Einheitsfront gegen die Notstandsgesetze mobilisiert werden. Sehr deutlich wird dies in einem Flugblatt der „Streikenden Studenten von Frankfurt“, das sich in erster Linie an die Arbeiter und Angestellten richtete:

„Die Studenten streiken! – Mit dem heutigen Tag sind die Notstandsgesetze praktisch verabschiedet. Heute geht zwar „nur“ die zweite Lesung über die Bühne, aber die dritte wird bestimmt, und mit noch weniger Opposition und Diskussion, bald gelaufen sein. 1968 sehen die Arbeiter und Angestellten noch tatenlos zu, wie die Unternehmergewinne um 20 Prozent steigen, die Löhne und Gehälter aber nur um 3 Prozent. Werden die Arbeiter und Angestellten auch 1969 noch zusehen? Wenn nicht, wenn sie dann etwa streiken wollen, droht mit Notstandsgesetzen: Zwangsarbeit für Frauen und Männer; Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende; Ausschaltung des Bundestages durch NATO  – Beschlüsse; Aufhebung der Rede – , Presse – und Versammlungsfreiheit; Abschaffung des Streikrechts. Die gut bewaffnete Werkschutzarmee der Unternehmer (heute schon 60.000 Mann im Bundesgebiet) steht für Euch bereit. Kolleginnen und Kollegen, kommt heute um 18 Uhr zur Streikversammlung der Arbeiter, Schüler und Studenten gegen die Notstandsgesetze: 18 Uhr, Universität, Bockenheimer Warte – Solidarisiert Euch mit Euren Kollegen in den Betrieben, die bereits heute Warnstreiks durchgeführt haben! Die streikenden Studenten von Frankfurt.“

Flugblatt>15.05.1968>>Streikende Studenten: Streikaufruf

Der SDS ruft zum Generalstreik auf

Der SDS – verantwortlich KD Wolff – beschränkt sich in einem gesonderten Flugblatt, das ebenfalls am 15. Mai 1968 verteilt wird, nicht darauf, zu Warnstreiks aufzurufen. Vielmehr fordert er dazu auf, die „2.Lesung der Notstandsgesetze in allen Universitäten und Schulen mit einem Generalstreik zu beantworten.“ – Flugblatt des SDS vom 15.05.1968, „Streik“

Aktionsausschuß gegen das Notstandsgesetz

Schließlich meldet sich ein „Aktionsausschuß gegen die Notstandsgesetze“, dem unter anderem der AStA, Club Voltaire, der SDS, der LSD und verschiedene gewerkschaftliche Ortsjugendausschüsse angehören, der ein weiteres Flugblatt an die „Kolleginnen und Kollegen“ richtet und erklärt die „Notstandsparagraphen“ seien darauf angelegt, die Rechte der lohnabhängigen Bevölkerung außer Kraft zu setzen und auf diktatorische Weise die wirtschaftliche und politische Macht der herrschenden Kräfte zu sichern. Notstandsgesetze ermöglichten: Zwangsarbeit für Frauen und Männer; Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende; Ausschaltung des Bundestages durch NATO – Beschlüsse; Aufhebung der Rede, Presse – und Versammlungsfreiheit; Abschaffung des Streikrechts. Die Regierung wolle der Bevölkerung einreden, diese Gesetze seien zu ihrem Schutz in Notzeiten gedacht. Das sei nicht wahr. Mit den Notstandsgesetzen wolle man in Wahrheit die Staatsgewalt mit Diktaturvollmachten gegen das Volk ausstatten, vor allem gegen die Arbeiter und Angestellten und ihre Organisationen. Am vergangenen Samstag hätten etwa 70.000 Menschen aus der gesamten Bundesrepublik mit dem Sternmarsch auf Bonn und 15.000 Gewerkschaftler in Dortmund gegen die Notstandsgesetze protestiert. Am 19. Juni werde der Bundestag diese Gesetze endgültig durchpeitschen. Man müsse sich wehren, ehe es zu spät sei. Nur noch kräftiger Widerstand mache auf die Herren in Bonn Eindruck. Wie der Generalstreik in Frankreich gezeigt habe, könne man sich nur noch mit Kampfmaßnahmen gegen die Herrschenden durchsetzen: In vielen Betrieben, Schulen und Universitäten werde gegen die Notstandsgesetze gestreikt. Dann heißt es:

„Organisiert auch in Eurem Betrieb heute Warnstreiks! Fordert Eure Gewerkschaft nachdrücklich zum politischen Streik gegen die Notstandsgesetze auf! Es ist 5 Minuten vor 12! Kommt am Donnerstag, dem 16. Mai, um 18.00 Uhr in das Gewerkschaftshaus, großer Saal. Hier sollen weitere Kampfmaßnahmen – bis hin zum Generalstreik – besprochen werden. Mobilisiert Eure Kollegen! Streikt gegen die Notstandsgesetze!“

Die Diskussion über das Notstandsgesetz

Gegen 11 Uhr eröffnet der Rektor in der Aula eine Diskussion über das Notstandsgesetz woran sich die Professoren Bernhardt, Denninger und Lüderitz, sowie ein paar hundert „Streikbrecher“ beteiligen.

Das Teach-In am Abend: Aufruf zu Blockade

Zur Vorbereitung der „Blockade“ der Universität am folgenden Tag veranstaltet man am Abend, um 19.00 Uhr, ein Teach-In, das zunächst im Hörsaalgebäude und später auf der Wiese zwischen dem Studentenwohnheim „Bockenheimer Warte“ und dem Studentenhaus stattfindet. An diese Veranstaltung nehmen etwa 1 500 Personen teil. Zunächst diskutiert man über die Streikmaßnahmen des gleichen Tages. Ein Redner verwahrt sich gegen das Vorgehen der „Streikposten“. Diese hätten am Mittwoch entgegen dem Beschluß der Teilnehmer des Teach-In’s vom vorangegangenen Abend Studenten mit Gewalt daran gehindert das Universitätshauptgebäude zu betreten. Er beantragt, die Anwesenden sollten über die Frage abstimmen, ob am nächsten Tag in gleicher Weise vorgegangen werden solle. Die Abstimmung über diesen Antrag wird längere Zeit hinausgezögert. Die endlich gegen 21.00 Uhr durchgeführte Abstimmung ergibt eine überwiegende Mehrheit für die Durchführung des „Streiks“ in der gleichen Form. Hauptredner dieser Veranstaltung sind die Herren Krahl, Bluem, Amendt und Wetzel, die für eine weitere Blockade der Universität eintreten und für den Einsatz von „Streikposten“ plädieren. Krahl: „Es ist unsere Pflicht, den Streik und die Blockade am Donnerstag fortzusetzen, um der Gesamtbevölkerung klar zu machen, um was es geht. Die Pflicht eines Demokraten ist es, für die Demokratie zu kämpfen – Noch nie zuvor hat es eine solche Solidarisierung oder beinahe Aktionseinheit von Studenten, Schülern und Arbeitern gegeben.

Die Blockade der Universität am 16. Mai 1968

Die eigentlichen Aktionen beginnen schon am frühen Morgen: In der Nacht haben Unbekannte sämtliche Eingänge zur Uni mit Brettern, Draht und verschiedenen Baumaterialien versperrt, so daß das Innere der Hochschule am Morgen nur durch die Parterrefenster rechts und links vom Haupteingang erreicht bzw. verlassen werden können. Um 7.30 stehen vor dem Haupteingang der Universität etwa 50 Personen. Am Nebeneingang des Hörsaalgebäudes zur Gräfstraße, wo fast alle Glasflächen in gelber Farbe mit der Losung „Streik“ beschmiert sind, warten außerdem ungefähr 30 Diskutanten. Zur gleichen Zeit wird an der Bockenheimer Warte ein Plakat mit der Aufschrift „Notstand – nein“ ausgehängt, wobei die Worte die Form eines Hakenkreuzes bildeten. Einzelne Gruppen rufen gegen 8.00 Uhr vor dem Hauptgebäude: „Diktatur des SDS!“ Um 8.15 Uhr sind schon über 150 Personen vor dem Haupteingang versammelt, die untereinander diskutieren. Wenig später kommt es zu ersten Handgreiflichkeiten, als Studenten mit Gewalt versuchen, die „Streikposten“, die eine Menschenkette bilden, zu durchbrechen. Einige Scheiben gehen zu Bruch. Eine Gruppe von SDS – Gegnern, die in das Gebäude eingedrungen ist, versucht, die Belagerer mit einem Wasserstrahl aus einem Feuerlöschschlauch zu vertreiben, aber die Wasserschlacht endet mit dem „Sieg“ der Angegriffenen, die den einfach den Schlauch durchschneiden.

Der Rektor reagiert gelassen

Der Rektor, der am frühen Morgen fast unbemerkt durch einen Hintereingang in sein Arbeitszimmer gelangt, erklärt, die „streikenden Studenten“ hätten den Tatbestand der Nötigung und Freiheitsberaubung erfüllt. Er kündigt Strafanzeigen an, verzichtet jedoch darauf, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und die Polizei zu rufen. „Ich lasse mich nicht provozieren“, betont er. Vorab hat er dem Kultusminister in Wiesbaden telefonisch berichtet, er sei nicht mehr in der Lage, für ungestörten Vorlesungsbetrieb und ordnungsgemäßen Ablauf einer Prüfung zu sorgen.

Gegen die „Streikbrecher“

Denjenigen, die sich als „Streikbrecher“ betätigt hatten, wirft Krahl vor, sie seien Faschisten. Bei den Aktionen an der Universität habe sich eine „eindeutige Polarisierung in rechte Randgruppen“ ergeben, die gegebenenfalls „mit Gewalt“ vorgingen. „Ich halte es nicht für schädlich, daß die Fiktion einer politisch einheitlichen Studentenschaft aufgezeigt worden ist.“ Während der Veranstaltung kommt es zu einem besonderen Zwischenfall. Etwa um 20.00 Uhr wird das Teach-In durch laute Musik gestört, die aus einem der Räume des Philosophischen Instituts kommt. Vor dem Eingang des Institutsgebäudes versammeln sich daraufhin mehrere Teilnehmer des Teach-In’s die beraten, was man gegen die Störung unternehmen könne. Kurz danach bricht plötzlich die Musik ab und wenige Minuten später erscheint Katarski auf dem Rednerpodium und hält triumphierend zwei Tonbandrollen in die Höhe und ruft: „So verfahren wir mit denjenigen, die versuchen, uns zu stören.“ Am Ende des Teach-In’s fordert Krahl die Anwesenden auf, sich zu Gruppen von je 12 Personen zusammenzuschließen, einen Gruppensprecher zu wählen und dann gemeinsam mit den übrigen Interessierten zum Universitätshauptgebäude zu gehen und dort in der Vorhalle über die künftigen Aktionen zu diskutieren und die Gruppen einzuteilen. Diese Diskussion wird insbesondere von Krahl und Bluem geleitet. Man beschließt, sich am nächsten Morgen um 6.30 Uhr auf der hinter dem Studentenhaus gelegenen Wiese zu treffen, von wo aus die weiteren Aktionen ausgehen sollen. Die sogenannte „Streikleitung“ solle in einem der Zimmer im ersten Stock des Studentenhauses eingerichtet werden. Gegen 22.00 Uhr löst sich die Versammlung schließlich auf.


Die Polizei beendet die Blockade der Universität


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