Helmut Iver Brackert

Ordentlicher Professor für Deutsche Philologie seit 1967, geb. 30. Januar 1932, gest. 4. Dezember 2016.

Brackert ist Ziel von Vorlesungsstörungen. Zudem werden die Räume des Deutschen Seminars besetzt und polizeilich geräumt, das er als Direktor leitet.

Brackert Institut
Brackert Vorlesungsstörung
Eine Wandzeitung im Deutschen Seminar am 25. April 1969
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Brackert mit Mitscherlich und anderen Kollegen kritisieren am 30. Januar 1969 in einem offenen Brief
das Rundschreiben des Rektors vom 6. Januar 1969

Am 6. Januar 1969 wendet sich Rektor Rüegg mit folgendem Rundschreiben an den Lehrkörper:

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Brackert mit Mitscherlich und andere Kollegen reagieren auf dieses Rundschreiben am 30. Januar 1969 mit einer öffentlichen Stellungnahme. Sie stellen die These auf, die Mehrheit der Studierenden sei friedlich, verständigungsbereit und verfolgte Ziele, die nicht mit denjenigen der radikalen Minderheit zu verwechseln seien.

 „Magnifizenz, – Sie erhielten mit dem 7.1.1969 einen offenen Brief der klassisch – philologischen Fachschaftsvertreter, in dem an dem Aufruf des Rektors, Prorektors und der Dekane ‘An die Studenten der Universität Frankfurt’ und an Ihrem Schreiben an alle Mitglieder des Lehrkörpers (beides vom 6.1.) Kritik geübt wird. Diese Stimme aus der Studentenschaft muß deshalb als besonders beachtenswert gelten, weil sie aus einer Gruppe von Studenten herrührt, die sich um eine aufbauende sachliche Mitarbeit an der Neuorganisation der Universität bemühen.

In einer Presseerklärung von vier Professoren der Rechtswissenschaft vom 9.1. werden ebenfalls beide Verlautbarungen einer Kritik unterzogen, auf die Sie mit Ihrem Schreiben vom 16.1. an alle Mitglieder des Lehrkörpers erwidert haben. Die unterzeichneten Professoren der philosophischen Fakultät halten es für dringend erforderlich, die genannten Gegenstimmen gegen naheliegende Mißverständnisse zu sichern und zu verhindern, daß die durch sie in Gang gesetzte Diskussion nicht auf Grund einer vordergründigen und formalistischen Argumentationsweise vorschnell als erledigt betrachtet wird. Sie erlauben sich daher, zu allen vier genannten Schreiben wie folgt Stellung zu nehmen. – Die Verfasser der beiden kritischen Briefe erblicken in den Sanktionen, die Sie für den Fall der Fortdauer von Störungen oder Verhinderungen von Lehrveranstaltungen durch rechtswidrige Aktionen radikaler Gruppen in Aussicht stellen, eine ‘undifferenzierte Abwertung studentischer Reformversuche’.

Leider enthält das Schreiben der juristischen Professoren in der Auslegung und Wiedergabe von Formulierungen Ihres Aufrufs einige mißverständliche Formulierungen, die Sie mit Recht klarstellen. Sie kündigen in der Tat sofortigen Polizeieinsatz nur in Fällen von ‘Besetzungen’ von Universitätseinrichtungen an und erwähnen als Beispiel die ‘Besetzung’ der Arbeitsstelle Myliusstraße des Instituts für Sozialforschung. Ferner wird in dem Aufruf in der Tat nicht, wie die juristischen Professoren behauptet haben, ‘jede Abweichung von offiziellen Lehrveranstaltungen unter rechtliche Sanktionen gestellt’, sondern nur diejenigen Arbeitskreise, die als Gegenveranstaltungen gegen reguläre Lehrveranstaltungen gemeint sind. Man wird dazu die klärende Bemerkung Ihres letzten Briefes an den Lehrkörper besonders willkommen heißen, nach der studentische Reformversuche, etwa in freiwilligen Arbeitsgruppen, mehrfach ausdrücklich begrüßt worden sind.

Dennoch scheint den Unterzeichneten in Ihren beiden Entgegnungen die notwendige differenzierte Bewertung studentischer Reformversuche, wie sie in beiden kritischen Schreiben gefordert wird, in ihrer eigentlichen, offenbar von den Kritikern gemeinten Problematik noch nicht berührt zu sein. In dem Schreiben der klassisch – philologischen Fachschaftsvertreter wird diese Problematik angedeutet mit dem Satz: ‘Streik ist noch keine Revolution, auch keine Verletzung der akademischen Freiheit’. In dem Aufruf wird auf ‘Störungen’ von Lehrveranstaltungen im Dezember Bezug genommen. Diese bestanden zum größten Teil in Vorlesungs-‘streiks’, die von Studierenden der AfE und einigen Fachschaften der philosophischen Fakultät durchgeführt wurden, oder in Vorgängen, die damit in Zusammenhang standen.

Nun ist es richtig, daß diese von Studierenden der AfE ausgehende Streikbewegung von radikalen Studentengruppen zum Anlaß von Aktionen genommen wurde, die darauf abzielten, den laufenden Lehrbetrieb unmöglich zu machen. Dazu gehörte vor allem die von Ihnen angeführte ‘Besetzung’ der soziologischen Arbeitsstelle. Auch führte der Einfluß von Studenten radikaler Richtung in manchen philologischen Fächern zu mehr oder minder gelungenen Versuchen einer solchen nachträglichen Umdeutung der Streikabsicht.

Davon abgesehen aber hat die Streikbewegung im ganzen nicht eine solche Absicht gehabt. Vielmehr sollte mit ihr gegen Verordnungen des Kultusministers Schütte ein demonstrativer Protest erhoben werden, durch die ein Lehrer – bzw. neuer ‘Stufenlehrer’ – Typ eingeführt werden soll, der nur 6 Semester zu studieren hätte und damit mangelhaft ausgebildet wäre. Die Fachschaften derjenigen Fächer der philosophischen Fakultät, die von dieser Maßnahme betroffen waren, beschlossen, sich dem Streik der AfE – Studenten anzuschließen und damit deren Protest zu unterstützen. Sie sahen in der Einführung des Stufenlehrers mit nur sechssemestrigem Studium auch eine Gefahr für die gymnasiale Schulbildung. Denn es war offenkundig, daß der Stufenlehrer eine Art künftiger Normallehrertyp werden sollte, der also auch in der Mittelstufe der Gymnasien (oder den Gymnasien entsprechenden Leistungsgruppen einer künftigen Gesamtschule) zu unterrichten haben würde. Die Streikbefürworter meinten, daß mit der Einführung dieses Lehrertyps die bestehende Gymnasialbildung in der Tat beseitigt sein würde, wovon für die Zukunft der Schulen und Hochschulen verheerende Folgen zu erwarten seien. Sie sahen diese Maßnahme im weiteren Zusammenhang von Tendenzen der gegenwärtigen Schulpolitik, den Lehrbetrieb an den Hochschulen stärker zu verschulen, zu verkürzen, zu reglementieren und damit die bisher noch bestehende Lehr – und Lernfreiheit einzuschränken.

Den Studierenden der AfE und der philosophischen Fakultät, die sich zu dem Streik entschlossen, lag es daher, sofern sie sich der Manipulierungen von radikaler Seite erwehren konnten, völlig fern, ‘durch rechtswidrige Aktionen Lehrveranstaltungen zu stören oder unmöglich zu machen’. Im Gegenteil: ihre demonstrative Ablehnung des Stufenlehrers und anderer gleichgerichteter Maßnahmen sollte gerade eine akute Gefährdung des bis jetzt ‘normalen’ Unterrichtsbetriebs abwehren. Es bestand daher bei den meisten Studenten, die den Streik in dieser Absicht befürworteten, die berechtigte Hoffnung, daß sich die Professoren der betreffenden Fächer dem Streik anschließen oder doch ihre Sympathie mit ihm bekunden würden. Damit ist unzweifelhaft gegeben, daß diese Streikbewegung in ihrer ursprünglichen Absicht und soweit sie sich von radikalen ‘Umstrukturierungs’-versuchen rein halten konnte, alles andere als gegen die Professoren gerichtet war, deren Interesse sie vielmehr mit vertrat. Der gemeinte Gegner war vielmehr die zuständige staatliche Verwaltung, vertreten durch Kultusminister Schütte.

Die Unterzeichneten haben es tief bedauert, daß fast alle betroffenen Kollegen die Absicht dieser Streikbewegung völlig mißverstanden und als gegen sich und die akademische Lehrfreiheit gerichtet angesehen haben. Es ist zwar richtig, daß radikale studentische Gruppen diese Streikbewegung im Sinne ihrer maßlosen ideologischen Vorstellungen zu einer Lahmlegung des Studienbetriebes und dessen Übernahme durch sie ‘umzufunktionieren’ versucht haben. Doch ist dies nur im Bereich des Instituts für Sozialforschung, unter dessen Mitgliedern ja die radikalen Studentengruppen ihre stärkste Anhängerschaft haben, und im Bereich solcher Seminare gelungen, in denen der Einfluß dieser Gruppen stärker war.

Was die Durchführung des Streiks im übrigen anbelangt, hat eine Reihe von Fachschaften ausdrücklich bekundet, daß der Streik nur gegen die genannten schulpolitischen Maßnahmen gerichtet sei. Sie haben somit jene ‘Umfunktionierung’ nicht mitgemacht, ja sie zum Teil ausdrücklich abgelehnt. Der Aufruf an die Studenten ebenso wie Ihre weiteren Schreiben spricht nicht von ‘Streik’ (weder mit noch ohne Anführungszeichen). Es bleibt also unklar, ob der gegen den Stufenlehrer gerichtete Streik zu den dort mit Sanktionen bedrohten Störungen zu rechnen ist oder nicht. Die den Streik verurteilende Auslegung liegt jedoch nahe. Es wird von ‘Störungen, gleichgültig in welcher Form’ gesprochen, die mit Sanktionen belegt werden sollen. Wenn ferner auf die Störungen des Monats Dezember Bezug genommen wird, so fallen darunter zum größten Teil die genannten Streikaktionen. Dieselbe Auffassung liegt der Verpflichtungserklärung zugrunde, die Sie als Rektor mit Schreiben vom 9.1. von dem Vorsitzenden der Studentenschaft gefordert haben. Man wird dazu die Auslegung eben der Streikbewegung vom Dezember heranziehen dürfen, die sich im uni report vom 8.1.1969 auf Seite 3 findet und die vermutlich die Auffassung der Universitätsleitung wiedergibt. Nach dieser erscheint der ‘Streik’ als eine durch manipulierende Anwendung unzutreffend übertragener Begriffe vorgenommene Tarnung für Aktionen, die in Wahrheit den Lehrbetrieb lahmlegen sollen.

Man kann zugeben, daß es solche Pseudostreikbewegungen mehrfach gegeben hat. So hatte der Frankfurter Studentenstreik im Frühjahr 1968 aus Anlaß der Notstandsgesetzgebung mit der ‘Besetzung’ der Universität und gewaltsamen Behinderung von Dozenten und Studenten am Abhalten bzw. Abhören von Vorlesungen wenigstens in seiner ersten Phase weitgehend einen solchen Charakter.

Es kann jedoch nicht bestritten werden, daß die Lage bei der Streikbewegung im Dezember grundlegend verschieden war. Der Streik wurde von den einzelnen Fachschaften in ordnungsgemäßen Versammlungen beschlossen. In manchen dieser Versammlungen wurde zwar von Seiten radikaler Studenten eine manipulierende Meinungsbeeinflussung ausgeübt. Diese hatte jedoch nicht überall Erfolg, und es gab Fachschaftsversammlungen, die von jenem Druck frei waren. Dozenten und Studenten wurden nicht allgemein gehindert, Vorlesungen zu halten oder zu besuchen. Viele Vorlesungen und Übungen fanden statt, da zahlreiche Studierende dem Streikaufruf nicht folgten. Es gab allerdings Versuche, in den Vorlesungen Dozenten und Hörer auf den Streik aufmerksam zu machen und über seinen Anlaß zu diskutieren. Abgesehen wieder von Fächern, in denen die radikalen Gruppen ihre ‘Umfunktionierung’ durchgesetzt hatten, handelte es sich dabei um echte Diskussionsversuche, in denen nirgends ein Meinungszwang ausgeübt wurde. Es konnte freilich dann zu tatsächlichen Störungen der Vorlesungen kommen, wenn Dozenten zu einer solchen Diskussion nicht bereit waren oder demonstrativ den Streikbeschluß der Fachschaften und dessen Anlaß ignorierten. Aber diese (meist sekundär entstandenen) ‘Störungen’ hatten sicher nicht die Absicht der ‘Repression, des Boykotts und der Sabotierung des Studienbetriebes’, um diesen revolutionär umzufunktionieren.

Im Gegenteil: wenn auf Durchführung des Streiks gedrungen wurde, so sollte das ja gerade den Versuchen der Staatsregierung wehren, den bestehenden Studienbetrieb durchgreifend so umzugestalten, daß Studier- und Lehrfreiheit faktisch beschränkt wurden. Der Streik war, auch wenn in den Vorlesungen zu seiner Befolgung angehalten wurde, eine eindeutig defensive, keine aggressive Maßnahme, die auch dem Schutz der Interessen der Professoren galt. – Die während des Streiks von den Studierenden (zuerst denen der AfE) eingerichteten ‘Arbeitskreise’ sollten ebenfalls nicht nur keine Gegenveranstaltungen zu den offiziellen Lehrveranstaltungen sein (wieder mit Ausnahme der Vorgänge im Institut für Sozialforschung und der sonst hier und da vorgekommenen radikalen ‘Umfunktionierung’ des Streiks), die etwa den Lehrbetrieb den Dozenten aus den Händen nehmen und ihn den Studierenden überantworten sollte. Vielmehr sollte die durch den Vorlesungsstreik entstandene Freizeit genutzt werden zur Information über den Streikgegenstand und zur Erarbeitung von Gegenvorschlägen. In diesem Sinne war die Teilnahme der Dozenten überall als erwünscht erklärt worden (dies wieder im völligen Gegensatz zu den Vorgängen im Institut für Sozialforschung).

Die Streikbewegung vom Dezember 1968 kann daher zu ihrem größten Teil nicht unter den Begriff von ‘Störungen von Lehrveranstaltungen durch rechtswidrige Aktionen radikaler Gruppen’ gebracht werden. Sie hätte also in dem Aufruf von jenen radikalen Aktionen deutlich unterschieden werden müssen. Denn hier sind zum ersten Mal gemäßigtere studentische Gruppen, die auf sachliche Reformarbeit abzielten, in größerem Umfang aktiv geworden. Die Bestrebungen dieser Gruppe waren und sind weiter entschieden zu unterstützen, zumal sie die wirksamste Art der Bekämpfung jener radikalen, maßlose Umsturzziele verfolgende Gruppen sind. Wären sie gleich zu Beginn des Streiks von der Professorenschaft ausdrücklich unterstützt worden, wäre es sicher nicht zu den ‘Umfunktionierungen’ gekommen, die in einigen Seminaren durch manipulierende Meinungsbeeinflussung der Mitglieder von Seiten radikaler Studenten erfolgt sind. Aber nicht nur blieb diese Unterstützung aus, der Aufruf übergeht völlig diese gemäßigten aktiven Studentengruppen, die in der Streikbewegung des Dezember erstmalig zum Zuge gekommen sind, indem er nur radikale Gruppen einerseits und an ihrem ‘Studium interessierte’ (d.h. doch wohl hochschulpolitisch gleichgültige) Studierende andererseits unterscheidet.

Dadurch erhalten Außenstehende ein völlig unzutreffendes Bild der Lage. Vor allem aber ist es ungerecht gegen die gemäßigten Studentengruppen, denen es um wirksame sachliche Arbeit an der Erhaltung und Verbesserung der Universität geht. Sie müssen enttäuscht und entmutigt werden, während sie doch gerade bestrebt und bestimmt sind, die Impulse der studentischen Protestbewegung in gesunde und aufbauende Bahnen zu lenken. Es darf kein Belegstoff für die Behauptung der radikalen Gruppen geschaffen werden, die Professoren seien an hochschulpolitischen Sachfragen, auch solchen, die sie erheblich mitbetreffen, uninteressiert und nur um die Sicherung ihrer Amtswürde besorgt. – Natürlich kann man fragen, ob nicht ein ‘Streik’ von Studenten überhaupt unstatthaft und daher als solcher abzulehnen sei, was auch immer er bezwecke. Diese Frage wird in der schon zitierten Auslegung des uni report vom 8.1.1969 auf S.3 bejahend beantwortet. Den Unterzeichneten scheint jedoch die dort entwickelte Auffassung anfechtbar. Es wird überhaupt nur eine Bedeutung des studentischen Streiks zugrunde gelegt, die der Auffassung der radikalen Gruppen entspricht und nach der der Streik gegen die Ordinarien gerichtet sein und eine Revolution der Form des Lehrbetriebs anstreben soll. Wird der studentische Streik so verstanden, dann ist es richtig, daß hier mit falsch übertragenen Begriffen ein betrügerisches manipulatorisches Spiel getrieben wird. Natürlich wissen wir, daß es das gibt, und es dürfte kaum einen Professor geben, der nicht der Ansicht ist, daß alles daran gesetzt werden muß, diesem gefährlichen Spiel Einhalt zu gebieten. Ebenso sicher aber ist, daß mit einer solchen Auslegung der überwiegende Teil der Streikbewegung vom Dezember 1968 nicht getroffen wird. Natürlich sind sich alle Beteiligten darüber klar, daß der aus dem Bereich arbeitsrechtlicher Verhältnisse stammende Begriff ‘Streik’ auf die Universität nicht im strengen Sinn übertragbar ist. Genauer müßte man sagen: ‘demonstrativer verabredeter kollektiver Nichtbesuch von Vorlesungen’. Selbstverständlich besteht für das Verhältnis der Universitätslehrer zu den Studierenden keine Analogie zu einem arbeitsrechtlichen Verhältnis. Aber in einer anderen Richtung besteht diese Analogie oder Ähnlichkeit durchaus, nämlich im Verhältnis der Studierenden zum Staat. Der Streik der Studenten im Dezember 1968 richtete sich, soweit seine Absicht unverfälscht blieb (und das war weitgehend der Fall), gegen die Organe der Staatsregierung. Zum Staat stehend die Studenten zwar nicht in einem gegenwärtigen arbeitsrechtlichen Verhältnis, aber sie befinden sich doch in der Vorbereitung zu einem solchen, da ja der größte Teil von ihnen einmal Staatsbeamte werden und dafür von der Universität vorgebildet werden sollen. Es ist keine ungerechtfertigte Übertragung des Begriffs Streik auf gänzlich unvergleichbare Verhältnisse, wenn durch Aussetzung des Vorlesungsbesuchs der künftige Arbeitgeber, dem an einer raschen Verfügbarkeit seiner künftigen Arbeitnehmer erklärtermaßen liegt, zur Zurücknahme von Maßnahmen genötigt wird, die den Ausbildungs- und Berufsinteressen dieser zuwiderlaufen. Der Streik hätte sogar Erfolg versprochen, wenn er durch eine Solidaritätsbekundung der Professoren unterstützt worden wäre. Diese hätte nicht darin bestehen müssen, daß die Professoren mit streikten, was in der Tat beamtenrechtliche Schwierigkeiten ergeben hätte. Dadurch jedoch, daß der Streik von der Universitätsleitung und dem größten Teil der Professoren als im ganzen gegen sich gerichtet mißverstanden wurde, ist er um seine Wirkung gebracht worden. Vermutlich ist dadurch nicht weniger geschehen, als daß eine unheilvolle Wendung der staatlichen Hochschulpolitik zur Unterordnung unter wirtschaftliche Interessen und damit zur Einschränkung der Lehr – und Lernfreiheit besiegelt wurde; denn die Frage des Stufenlehrers und die weiteren mit ihr gegebenen Fragen sind für die Weiterentwicklung unseres Schul – und damit Hochschulwesens schlechthin grundlegend. Es ist tief bedauerlich, daß die meisten Professoren die ‘Störungen’ des Vorlesungsbetriebes als formale Frage mehr interessiert haben als diese grundlegende Sachfrage, die ihre Interessen ungleich schwerer berührt. Zwar haben sich die Fakultäten und die Universitätsleitung mehrfach gegen den Stufenlehrer ausgesprochen und erklärt, daß sie in der Sache mit den streikenden Studenten einer Meinung sind. Aber von diesen bloßen Erklärungen konnte nie eine Wirkung erwartet werden. Die Studierenden der betroffenen Fächer haben mit Recht gemeint, daß hier nur noch ‘Aktionen’ von einiger Durchschlagskraft sein könnten. Durch die undifferenzierte Verurteilung von ‘Störungen’ des Unterrichtsbetriebes in dem Aufruf des Rektors und der Dekane – und jeder Leser muß in diese ‘Störungen’ auch die Streikaktionen einbeziehen – , dürfte für Kultusminister Schütte die Fortsetzung seines Stufenlehrerprojekts gesichert sein. Daß er dieser Absicht ist, hat bereits seine Diskussion mit Gießener Studenten der AfE erkennen lassen. – Die in der Streikbewegung gegen den Stufenlehrer aktiven Studenten gehören nicht nur zu denjenigen, die ‘an ihrem Studium interessiert ‘ sind, sie sehen klarer als die kulturpolitisch Gleichgültigen, in welchem Ausmaß ihr Studium von der Staatsverwaltung dirigiert werden soll und wehren sich mit Recht dagegen. Der Aufruf unterscheidet nur die ‘radikalen Gruppen’ und die ‘Tausende von Studenten, die an ihrem Studium interessiert sind’. Er schweigt gerade von der wichtigsten Gruppe unter den Studenten, nämlich derjenigen, die sachlich und maßvoll an einer Erneuerung der Universität und an der Sicherung ihrer Funktion im gesellschaftlichen Leben arbeiten. Bisher haben die meisten Professoren an eben dieser Gruppe geflissentlich vorbeigesehen und den radikalen Gruppen den Gefallen getan, ihnen die sich viel interessanter zu machen verstehen, ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist nach unserer Meinung eine schwere Unterlassungssünde, die sich rächen wird. Die gemäßigten aktiven Studentengruppen verlangen unsere volle Unterstützung, auch wenn sie für manche Professoren durch ihre Argumente oder auch Aktionen unbequem sein mögen. In dem Kampf gegen zwei Fronten, nämlich gegen die Radikalen und die Gleichgültigen unter ihren Kommilitonen sollte nicht auch noch die Professorenschaft eine dritte Front sein, gegen die sie kämpfen müssen. Der Aufruf tut nichts, um diese Gruppen zu unterstützen, nicht einmal das wenigste, daß er sie ausdrücklich von den Radikalen und den Uninteressierten (die sich unter den ‘Tausenden am Studium Interessierter’ des Aufrufs verbergen) unterscheidet. Der Hinweis auf die Möglichkeit, Reformvorschläge zu unterbreiten und in Reformausschüssen mitzuarbeiten, genügt nicht. Ist die Gefahr, die die Einführung des Stufenlehrers und andere staatliche Eingriffe in den bisherigen Studienbetrieb enthält, etwa auf diesem Wege zu beseitigen? Wer unter den Urhebern von ‘Störungen’ des Vorlesungsbetriebs, die künftig mit Sanktionen zu rechnen haben sollen, auch diejenigen begreift, die durch den Streik aktiv gegen diese Eingriffe protestiert haben, muß sich die Frage gefallen lassen, mit welchen anderen wirksamen Mitteln er diese Maßnahme zu verhindern gedenkt. Diese Frage bleibt in dem Aufruf und Ihren weiteren Erklärungen offen. Sie ist diejenige, die offenbar in den genannten kritischen Schreiben der juristischen Kollegen und der klassisch – philologischen Fachschaftsvertreter eigentlich gemeint ist. – Ew. Magnifizenz sehr ergebene – Prof. Dr. phil. H. Brackert – Prof. Dr. phil. M. Christadler – Prof. Dr. phil. W. Cramer – Prof.Dr.phil. L. Finschero – Prof.Dr.med. A.Mitscherlich – Prof.Dr.phil. H.Patzer – Prof.Dr. phil.M.Rang – Prof.Dr.phil.H. Scheuerl.“

Schlosser, Assistent von Brackert, wendet sich am 25. März 1969 in dessen Auftrag an die ad-hoc-Gruppe „Studentische Seminare“ und thematisiert das Unterichtsprogramm des Deutschen Seminars

„Ich muß Ihnen nach einer Rücksprache mit Prof. Brackert noch einmal sagen, daß sich die Lehrenden des Deutschen Seminars an die ursprünglich vereinbarten Themen halten werden. Insofern ist das unter b) des ersten Seminarthemas Gesagte nicht als Alternative zu a) zu werten (anstelle des studentischen Vorschlags, die Sozialisten im Deutschunterricht und Schule allgemein zu analysieren, wollen die Lehrenden das Thema auf Fibelanalysen u. ä. beschränkt wissen, Anm. d. Red.). Der studentische Vorschlag, der (bis auf die kurze Bezugnahme auf das Thema ‘Schichten – spezifische Sprache’) die Germanistik als bereits nicht – existent behandelt, ist darum als Veranstalter des Deutschen Seminars undurchführbar. – Die Erfahrungen mit der Vorbereitung dieser ersten Veranstaltungen deren Themenstellungen von studentischer Seite gewünscht worden sind, machen es notwendig, in Zukunft nicht nur die Themen solcher Veranstaltungen, sondern auch den inhaltlichen Rahmen vorher festzulegen. Diese Bemerkung soll nicht zuletzt deswegen ausgesprochen sein, weil schon kurz nach Beginn des Sommersemesters das Programm für das Wintersemester beraten und verabschiedet werden muß. – Wir werden durch öffentlichen Aushang alle Studenten des Deutschen Seminars auffordern, Wünsche zu äußern. – Mit freundlichen Grüßen Dr. H. D. Schlosser.

Flugblatt vom 31. März 1969 der Basisgruppe Germanistik: „Agitationspaper und Leitfaden – Germanistik abschaffen!“

Agitationspaper der Basisgruppe Germanistik
Willst du Kenntnisse erwerben, mußt du an der die Wirklichkeit umwälzenden Praxis teilnehmen. – Vorsitzender Mao-tse Tung. […]
Anleitung zum Lesen
Dies ist ein Leitfaden zur Situation des Deutschen Seminars in Frankfurt. Er ist parteiisch, und zwar nimmt er Partei für die Studenten, die bisher noch immer die Unvernunft dieser Verhältnisse erleiden mußten. Er richtet sich vor allem an die jungen Semester, unter ihnen zumal an die Erstimmatrikulierten, die sich von den blödsinnigen Ritualen dieser Universität vielleicht doch einschüchtern lassen. Er versucht Handlungsanweisungen zu geben. (im Abschnitt ‘Perpetuum mobile’ und ‘Unterlauft das Prüfungssystem’), wie die Idiotie des germanistischen Studiums unterlaufen werden kann. Er schlägt vor, daß wir Studenten uns organisieren, um unsere Interessen gegen die durchzusetzen, die Germanistik noch immer als ihr Hobby betreiben; die Professoren. – Wir sind imstande, das zu erlernen, was wir vorerst nicht wissen. Wir verstehen es nicht nur, die alte Welt zu zerstören, sondern wir werden es auch verstehen, eine neue aufzubauen. – Vorsitzender Mao-tse Tung.
Geschichte der Basisgruppe
Die Geschichte der Basisgruppe ist bestimmt durch die Entwicklung bestimmter Konflikte im Institut, die sich aus dem Zustand dieser Wissenschaft und der Struktur der Ordinarienuniversität herleiten lassen. Deshalb waren theoretische Kritik an den Ansprüchen der Germanistik und praktische Kritik an den bestehenden Machtverhältnissen die beiden Schwerpunkte unserer Arbeit. – Entstanden aus einer Reformgruppe, die sich zur Abwendung der in Frankfurt drohenden Zwischenprüfung gebildet hatte, blieb die Basisgruppe zunächst an theoretische Arbeit gebunden. Deren Zielvorstellung war die Abschaffung der mit den herrschenden gesellschaftlichen Interessen verflochtenen Germanistikbund – noch abstrakt genug – die Herbeiführung einer Wissenschaft, die in ihren Verfahren, in der Auswahl ihrer Gegenstände und ihrer praktischen Funktion der Gesellschaft kritisch gegenübersteht. Die Arbeit galt vor allem der Aufnahme ‘linker Theorie‘. – Dieses Konzept war noch kaum auf die Möglichkeiten seiner politischen Durchsetzung hin reflektiert. So blieben zum Beispiel die von der Basisgruppe durchgeführten Veranstaltungen zur Politischen Universität während des Notstandstreiks unwirksam. Erst in der Aktion gegen den Ordinarius Stern im Sommersemester 67 haben wir gelernt, daß wissenschaftskritische Auseinandersetzung zu führen bedeutet, Konflikte mit institutionellen Machtpositionen durchzustehen und sie Studenten transparent zu machen. Damals erfüllte sich die Forderung studentischer Kritik in der Besetzung des Katheders und Gegenvorlesung. – Die praktische Kritik hat den Studenten zum einen ihre Möglichkeiten demonstriert, Frustrationen nicht hinnehmen zu müssen; sie hat andererseits die Basisgruppe als Interessenvertretung der im Seminar unterprivilegierten Studenten bestimmt. In dieser Perspektive war es konsequent, daß die Basisgruppe die Frage einer Institutssatzung zu ihrer eigenen machte. – Die drei Studentischen Delegierten arbeiteten einen drittelparitätischen Satzungsentwurf ohne Negativentwurf aus, in der Illusion, die Ordinarien ließen sich ihre Privilegien auf dem Verhandlungswege beschneiden, in der Meinung, die Interessen der Studenten seien in einer Satzung aufgehoben, die als Kompromiß mit der zuständigen Struktur des Seminars zustandekommt. Die entpolitisierende Tendenz in den Beratungen der Satzungskommission war ein Indiz für die falsche Einschätzung der politischen Bedeutung einer Satzung. Die schließliche Absage der Ordinarien im Zusammenhang mit den Repressionsmaßnahmen des Rektors haben zwar moralische Entrüstung, nicht aber eine politische Antwort zur Folge, es hat sich gezeigt, daß eine mobilisierte Öffentlichkeit im Seminar eine Institutssatzung allemal die Institutionalisierung studentischer Unmündigkeit wäre. – Um dem Warenangebot der offiziellen Lehrveranstaltungen zu begegnen, und den Ansatz zu einer politisch bewußten Gegenöffentlichkeit zu schaffen, sollte im WS 68/69 ein Goetheseminar als Konkurrenzveranstaltung zu dem von Stöcklein den theoretischen Rahmen einer materialistischen Interpretation erarbeiten und zugleich den Ort politischer Diskussion darstellen, Daß das Seminar sich um die Herrschaftsverhältnisse im Institut nicht kümmerte und daß es theoretische Arbeit an einzelne delegierte, waren Mängel, die es mit den offiziellen Veranstaltungen gemeinsam hatte. – Einsicht in ihre politische Wirkungslosigkeit fehlte auch den Teilnehmern an den Ordinarienseminaren, die versuchte, kritische Intentionen als vereinzelte theoretische Opponenten einzubringen – sie wurden vom Betrieb konsequenzenlos integriert und bereicherten den etablierten Methodenpluralismus. – Erst der Streik der Gesamtuniversität, die Solidarisierung mit den AfE – Studenten und der gemeinsame Widerstand gegen die technokratische Hochschulreform beendete die noch immer fachgebundene Arbeit der Basisgruppen: Antiautoritäre Organisation von Streikseminaren und in ihnen die Arbeit an objektiv interessierten Gegenständen waren Momente wissenschaftspolitischer Selbstreflexion. Es war allerdings der Fehler der Arbeit während des Streiks nur den von den Ordinarien gegebenen Spielraum, nicht aber die Möglichkeit auszunutzen, die Machtverhältnisse im Seminar selber anzugreifen. – Nachdem die Professoren ihre Veranstaltungen wieder angesetzt hatten, wurde in Vollversammlungen die Forderung, den Streik fortzusetzen, zwar politisch begründet, verabschiedet und damit der Streik formal legitimiert, seine Durchsetzung aber allein an die Basisgruppe delegiert. Als sie – als Minderheit – das Mandat wahrnahm, polarisierten sich die Studenten. Ihre Mehrzahl zeigte sich mit den Studienzwängen versöhnt. Ihr Ziel – Staatsexamen und Lehramt – schlägt sich im Studium als Resignation vor den Anforderungen nieder, die sich aus der Kritik an dieser Wissenschaft als Luxus und Sozialisationsagentur ergeben. Als wir unsere wissenschaftlichen Interessen praktisch machten, verhinderten die anerzogenen, im Studienbetrieb täglich reproduzierten mittelständischen Ängste, Autoritätsbindungen und die Fixierung auf individuelle Leistung eine breite Solidarisierung. Sie wäre die Basis politisch erfolgreicher Arbeit. Statt dessen rationalisierten sich die Hemmungen zur Kritik an Formverstößen. Der Rahmen einer längerfristigen Strategie wird nach diesen Erfahrungen nicht mehr die Instituts – und universitätsinterne Arbeit sein, wie wir sicher durch eine falsche Einschätzung der These von Wissenschaft als der ersten Produktivkraft begründet hatten: die von Studenten in die Semester veranstalteten Seminare werden Bedingungen zur Organisation gegen die herrschenden Verhältnisse schaffen, sie sollen auch eine Perspektive erkennen lassen in der es möglich sein wird, Berufspraxis als Bedingung im Ausbildungssektor selber verändernde Arbeit zu betreiben. – Wir werden mit Schülern und sozialistischen Lehrern Arbeitskollektive bilden und in ihnen den organisierten Widerstand gegen die repressiven Sozialisationsagenturen leisten. Die Widersprüche zwischen Studium und Beruf werden wir nicht länger verdrängen und tabuisieren, sondern ins Bewußtsein heben und thematisieren. – Bildet Partisanengruppen in Seminaren! Beteiligt euch an den studentischen Seminaren! Nehmt ständigen Kontakt zur Basisgruppe auf! Organisiert euch! (Basisgruppe Germanistik, Frankfurt/M. Gräfstr. 74/I, Tel.: 789 31 37, Fachschaftszimmer).

‘Professoren’ – Der deutsche Professor ist die Karikatur des aufgeklärten absoluten Herrschers. Seine Entscheidungen im Institut sind unbefragt und unausgewiesen. Er ist innerhalb der Universität das am wenigsten demokratische Organ. Während die Wirtschaft die technokratische Studienreform durchzusetzen versucht, widerstreiten sich unter den Professoren zwei Tendenzen: die konservativen Professoren, die mit der alten Universität vor allem ihre eigene Herrschaft bewahren wollen; sie sind gegenüber der historischen Tendenz objektiv ungleichzeitig, häufig aus der älteren Generation vor der Emeritierung, oft in konventionellem Sinn unverblümt autoritär. Ihr Verhältnis zur Methodik ihrer Wissenschaft ist kaum von Zweifeln getrübt. Diese Gruppe repräsentiert Professor Burger im Deutschen Seminar. – Die zweite Gruppe vertritt eine funktionalistische Tendenz, das heißt, sie ist der Sachwalter des technokratischen streamlining, sie verpflichtet die Universität auf Leistung für die bürgerliche Erwerbsgesellschaft. Diese Professoren geben sich häufig (bis zur Entlarvung) liberal, experimentierfreudig, die Krise der Wissenschaft erkennen sie nicht als die Krise der Gesellschaft, sie verhalten sich zu ihrem Fach wie alternde wissenschaftliche Modeärzte. Diese Gruppe repräsentiert Prof. Brackert im Deutschen Seminar. – Die Kritik, die wir an Professoren zu üben haben, richtet sich nicht gegen die Personen, sondern gegen deren Rollenfunktionen; die Rolle als Professor verpflichtet sie einem bestimmten Handlungsrahmen, dessen Grenzen nicht sie selbst, sondern die Institution Universität absteckt. Deshalb ist auch die Beteuerung der subjektiven liberalen Bereitwilligkeit, die wir von Professoren so oft hören, nicht von Interesse; deutlich hat sich erwiesen, als die Professoren des Deutschen Seminars von der Fakultät zurückgepfiffen wurden, nachdem sie bereits zwei Monate in einer Kommission zur Ausarbeitung einer drittelparitätischen Satzung ohne Negativkatalog saßen. – Allerdings soll damit nicht gesagt sein, daß Professoren auf ihre soziale Rolle determiniert seien. Daß sie auch zu den Studenten überlaufen und sich in deren Kampf einreihen können, hat das Beispiel von Prof. Brückner am Psychologischen Seminar in Hannover gezeigt. – His Masters voice – Am eindrücklichsten kann man die Deformation bürgerlicher Charaktere am Beispiel von Assistenten beobachten. Aufstiegsorientiert, ohne die Spur eines Vermögens, sich politisch zu organisieren, nehmen sie die demütigende Anpassung an Professoren und die Verachtung der Studenten in Kauf, in der Hoffnung, daß dieser Triebverzicht sich einmal auszahlen möge: in der Professur. Weder die Ausbeutung ihrer wissenschaftlichen und physischen Arbeitskraft durch die Professoren, noch das Beispiel des, wenn auch zaghaften politischen Zusammenschlusses der Assistenten im Soziologischen Seminar in der Myliusstraße haben bei den Assistenten des Deutschen Seminars soviel politische Reife und gesellschaftliches Bewußtsein produziert, daß sie den Ausweg aus professoraler Abhängigkeit in der Organisierung erkennen könnten. Exemplarisch dafür war das Versagen der Assistenten, als sie den Machtanspruch der Professoren zur Auflösung der Kommission für eine drittelparitätische Satzung sprachlos, resigniert und gehorsam vernahmen. – Solange sich die Assistenten zur Stimme ihres Herren machen, wie der Assistent Schlosser zum Sprachrohr des Professors Brackert, liegt unsere einzige machtvolle Stärke darin, uns zusammenzuschließen. – Die Germanistik ist eine Verschwendungswissenschaft. Verschwendet wird in ihr zu allererst die Arbeitskraft der Studenten, sie sollen in diesem wissenschaftlichen perpetuum mobile Literatur über Literatur über Literatur in unendlicher Reihe produzieren. Studenten sollen aufsagen, was in germanistischen Fachbüchern zum ‘Thema’ steht, während die Professoren die Freiheit einer Forschung genießen, die Forschungsprobleme aufstellt, um forschen zu können. Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz solcher Forschung muß von niemandem legitimiert werden. Dieses Massenfach ist das von der Gesellschaft großzügig ausgehaltene Hobby von Germanistikprofessoren. Die Aufforderung der Schule: ‘Vergessen Sie alles, was Sie auf der Universität gelernt haben!’ hat seine Berechtigung, denn nichts, was wir auf der Hochschule gelernt haben, taugt für die Berufspraxis als Lehrer, solange unsere bornierten Unterdrücker an der Universität so tun, als käme es nicht darauf an, Wissenschaft zu lernen, die man brauchen kann. Diese Praxis der Universität hat zu der kollektiven Verdrängung der Berufspraxis geführt, die uns Arbeitshemmungen und neurotisierende Bewältigungstechniken einbrachte. In unserer Befreiung von solchen Zwängen werden wir den schmutzigen, mit den herrschenden Interessen verfilzten Wissenschaft eine schmutzig mit den unterdrückten – nämlich unseren – Interessen verfilzte Wissenschaft entgegensetzen. Die reaktionäre Wissenschaft, die die Germanistik, nicht nur an diesem Seminar, taugt nur für eine reaktionäre Praxis. Wir werden gegen die Professoren ein Studium erkämpfen, das nichts mit den Sozialtechniken zur Deformierung von Charakteren zu tun hat, die wir, auf der Hochschule erlernt, auf der Schule praktizieren sollen. Widerstand der Vernunft gegen diese herrschende Unvernunft heißt: die Berufspraxis kritisch ins Studium hereinnehmen. – Die Vollversammlung der Germanisten hat im letzten Wintersemester drei Seminare beschlossen, die den Anfang machen werden: – ‘Hochschulstudium – Schulpraxis’ – ‘Kritik der bürgerlichen Literaturtheorie’ – ‘Trivialliteratur’ – 3243/3023 Kritik der bürgerlichen Literaturtheorie 2 st. (Stöcklein) Mi 18 – 20 H 4 (Beginn 28.4.1969) – 3566/3099 Trivialliteratur (Burger) st. Die 18 – 20 Dt. Seminar (Beginn 22.4.1969) – 3567/3192 Hochschulgermanistik – Schulgermanistik (Brackert/v. See) 2 st. Mo 18 – 20 (Beginn 21.4.1969). ‘Dokumente’ – I. Im letzten Wintersemester wurden die Soziologen durch die Polizei aus dem Spartakus – Seminar in der Myliusstraße ausgesperrt; als sie versuchten, ihre Arbeitskreise im Institut für Sozialforschung weiterzuführen, riefen die schönen Zungen der kritischen Theoretiker Adorno, Habermas und v. Friedeburg wieder nur die Polizei, die die Soziologen zur ‘erkennungsdienstlichen Behandlung’ und ‘zur Feststellung der Personalien’ aufs Kommissariat brachte. Aus diesem Anlaß erschien das folgende Germanistenflugblatt: – Wissenschaftliche Standards = Polizeimaßnahmen – Denkbar ist – daß Studenten der Germanistik sich für das Plenum ihrer Seminare im Institut treffen und dort die politischen und wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer Arbeit diskutieren – daß Prof. B. diese Studenten auffordert, das Seminar zu verlassen, weil seiner Hilflosigkeit studentischer Selbsttätigkeit gegenüber keine andere Maßnahme einfällt – daß die Studenten dieser Aufforderung nicht nachkommen, und Prof. B. zehn Minuten später wieder erscheint und mit den Worten ‘Jetzt müssen Sie auch die Konsequenzen tragen’ die Tür öffnet, hinter der etwa 50 behelmte Polizisten erscheinen. – Denkbar ist – weiter, daß diese Polizisten die Studenten der Germanistik aus dem Seminar herausprügeln und auf die Kommissariate verteilen, um sie ‘erkennungsdienstlich’ zu behandeln. – Denkbar ist – schließlich, daß Prof. B. larmoyant und heuchlerisch meint, diese Entwicklung tue ihm leid und er werde dafür sorgen, daß die Studenten rasch wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen und nicht gerichtlich bestraft werden, während er insgeheim schon Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet hat. – All das ist im Institut für Sozialforschung tatsächlich geschehen! – Die Habermas und von Friedeburg, und Adorno, von denen wir einmal Seminarmarxismus gelernt haben, haben uns jetzt die wichtigste Lehre erteilt; daß sie letztlich nur die kleinen Polizeispitzel sind, die mit Littmann und Brundert, Benda und Kiesinger dafür sorgen, daß die Studentenbewegung vorbeugend zerschlagen wird. Das Erschrecken darüber, daß der Altnazi Kiesinger und der Antifaschist Habermas so gut miteinander kooperieren, zeigt nur, daß, wir zuviel in Seminaren und zu wenig auf der Straße gelernt haben. – Denkbar ist – daß wir jetzt unsere bornierte germanistische Arbeit, die unsere Wirksamkeit gerade verhinderte, aufgeben – daß wir Institutspolitik endgültig als gesamtuniversitäre und gesamtgesellschaftliche verstehen und die begriffslose Arbeitsteilung der bürgerlichen Wissenschaften zerschlagen, indem wir praktischen Widerstand leisten. – Denkbar ist – weiter, daß wir uns den heute noch sublimen Terror unserer Ordinarien, der die Identität von bürgerlicher Wissenschaft und Unterdrückung herstellt, nicht länger gefallen lassen – daß wir das unlegitimierte professorale Monopol auf Wissenschaft, das diese zur Hure macht, praktisch angreifen – daß wir die organisierte Verschwendung studentischer Arbeitskraft verhindern, indem wir das Institut zu unserem eigenen machen. – Denkbar ist also – daß der kommende Sommer ein so heißer sein wird, daß die alte Wissenschaft ihn nicht überlebt. Das wird geschehen! – II. – Aus dem Streik gegen technokratische Hochschulreform im WS 68/69 – Streik – Info Nr.11 am 7.1.1969 – Streik – Komitee Germanistik – Terror und Anarchie wirft Rüegg den Studenten vor, die in Streikseminaren erstmals versucht haben, ihre eigenen wissenschaftlichen und politischen Interessen zu formulieren. Wir geben ihm recht; anarchisch = herrschaftsfrei sind diese Seminare, weil sie nicht unter Konkurrenzdruck und Prüfungsangst stattfinden, die professorale Vaterfiguren verursachen. Die Phrasen von Terror und Anarchie drücken die uralte Angst derer aus, die ihre Interessen in gewaltfreier Diskussion und herrschaftsfreier Arbeit nicht als scheinbar allgemeine den Studenten aufzwingen können. Tatsächlich hat die radikale Unbefangenheit gegenüber dem wissenschaftlichen Objekt und den Teilnehmern der Streikseminare die wissenschaftliche Arbeit einstimuliert, die kollektive Motivation von Lernprozessen ist erstmals in eins gegangen mit dem recht verstandenen individuellen Interesse, weil sie alle Objekte und Arbeitsweisen ausgeschlossen hat, die den Bedürfnissen der Studenten fremd waren. In einem solchen Wissenschaftsbetrieb setzte sich der blinde Funktionalismus technokratischer Studentenreform um in die vernünftige Bestimmung gesellschaftlicher Zwecke. In dieser Arbeitsweise glauben wir unseren Widerstand gegen Schüttes Modell besser aufgehoben als in Appellen an das Kultusministerium in Wiesbaden. Eine nicht – funktionalistische, emanzipative Arbeitsweise hat bereits innerhalb des Selbstaufklärungsprozesses ‘Streik‘ Fakten geschaffen, hinter denen Studenten und Professoren nicht zurückbleiben können. Unter diesen Arbeits – und Organisationsbedingungen müssen wir den Streik auch fortführen, wenn wir nicht wollen, daß er uns als harmloses Spielzeug für zwei Wochen von der Universitätsbürokratie zugestanden wurde. – Dokumente – III. – Um die Arbeit der progressiven Fachschaften zu behindern, verlangte der Schweizer General Rüegg im Wintersemester 68/69 die Fachschaften sollten sich ‘legitimieren’ und Protokolle etc. ‘unverzüglich’ an den Rektor schicken. Die Antwort der Fachschaft Germanistik ist im folgenden abzudrucken. Die Fachschaft ist inzwischen unter fadenscheinigen Vorwänden abgesetzt. Gegenmaßnahmen dazu werden wir uns in der ersten Vollversammlung des Semesters zu überlegen haben. – Antwortschreiben: – Herr Rüegg, – Ihren Brief vom 21. Januar haben wir erhalten. Ihr – wenn auch recht spätes – Interesse an unserer Arbeit nehmen wir zur Kenntnis. Freilich ist uns dieses Interesse suspekt genug, da es sich recht deutlich als Wunsch nach Kontrolle unserer Arbeit, die immer öffentlich war und die Interessen der Kommilitonen als notwendig politische zu artikulieren suchte, formuliert – dies zu einem Zeitpunkt, wo sehr klare Unterdrückungsmaßnahmen gegen die politische Arbeit der Studenten einsetzen. – Prinzipiell war unsere Arbeit immer öffentlich, da sie die Öffentlichkeit nicht zu scheuen brauchte; unsere Akten (Protokolle der Vollversammlungen, Briefwechsel, Sitzungsprotokolle) sind für jeden einzusehen (verschicken tun wir sie freilich nicht). Wenn wir dennoch nicht bereit sind, Ihnen oder Herr Riehn oder ähnlichen Herren Einsicht in unsere Akten zu geben, so deshalb, weil wir wissen, daß das Material Ihnen allein dazu dient, unsere Arbeit zu erschweren oder zu unterbinden. – Wir schlagen daher vor; Sie können unsere Akten einsehen, wenn Sie uns im Austausch dafür die Einsicht in Rektorats – , Senats – und Fakultätsakten gewähren. Dies wäre ein sinnvoller Beitrag zur Einrichtung der Kontrolle universitärer Praxis durch eine studentische Öffentlichkeit. – Thomas Schmid, Fachschaftssprecher – PS. Wir werden die Kommilitonen mit dem Inhalt dieses Briefes bekannt machen; unsere Arbeit ist öffentlich. – IV. – Wie richtig die Einsicht aus dem aktiven Streik des WS 68/69 war, daß studentische Selbstorganisation die beste Waffe gegen die reaktionär gewordene Ordinarienuniversität ist, zeigen die läppischen Machenschaften der Institutsleitung, die Vorbereitung und Durchführung der studentischen Seminare im Sommersemester 1969 zu verhindern, aus der Verhinderung ist nichts geworden, aber die Belästigungen zeigen deutlich, daß die Ordinarien diese Seminare bekämpfen werden. Uns muß klar werden, daß diese Seminare nur dann Teil des Kampfes für die Veränderung dieses Faches sind, wenn wir sie politisch verstehen.“

Flugblatt der Basisgruppe Germanistik vom 31.03.1969:
Einladung zu Arbeitskonferenz germanistischer Arbeitsgruppen der Bundesrepublik 11.04.1969

„Die Arbeitskonferenz der germanistischen Basisgruppe findet vom 8. bis mindestens 11. April statt. Beginn: 8.4., 15.00 Uhr in Raum 106 im Studentenhaus Jügelstr. 1 (Straßenbahnhaltestelle ‘Bockenheimer Warte’. Informationen bei der Basisgruppe im Deutschen Seminar, Gräfstr. 74 / I, Tel. 798 31 37). Anreise, wenn möglich, bereits am 7.4. – Die Gründe, warum kein vorbereitendes Info für die AK der germanistischen Basisgruppen erschienen ist, hat ein kurzer Beitrag der Basisgruppe Frankfurt im SDS – Info 9 erläutert; kurz resümiert, liegen sie zur Hauptsache in der politischen Schwäche der – häufig erst seit kurzem – arbeitenden Gruppen, die, weder durch militante Aktionen (Besetzung) noch durch institutsexterne Arbeit (Schüler) radikalisiert, häufig genug nur energische Fachschaftsarbeit und linke Wissenschaftskritik betreiben. In welchem Verhältnis die germanistischen Basisgruppen im Klassenkampf und zu der revolutionären – sozialistischen Bewegung stehen, werden wir u. a. auf der Arbeitskonferenz eindeutig zu definieren haben. – Daß sich unsere Arbeit nicht auf die ‘Syndikalisierung im Ausbildungssektor’ (so SDS – Info 9) beschränken kann, versteht sich. Wir werden im übrigen zu diskutieren haben – Schülerarbeit – Kulturimperialismus – Seminarstrategie – Funktion der Kulturwissenschaften – Wir bitten euch, Papers und Diskussionsbeiträge mindestens in einer Auflage von 100 Stück zu drucken. Im übrigen raten wir dringend, Luftmatratzen und Schlafsäcke mitzubringen, da wir nicht für so viele Genossen Betten garantieren können. – Kontaktstellen: Walter Kolbheim, Beethovenplatz 4, Tel.: 774321 – SDS, Wilhelm – Hauffstr. 5, Tel.: 776068 – Basisgruppe Germanistik, Tel.: 7983137 – Zur gleichen Zeit laufen die Arbeitsgruppen: Betriebs – und Lehrlingsarbeit, Kinderläden, Bundeswehr, Justizkampagne, Internationalismus, Technologie. – Genossen: laßt hundert Basisgruppen blühen – aber nicht im Sumpf des Reformismus! – Mit solidarischen Grüßen – Basisgruppe Germanistik Frankfurt. […] Adressenliste der Basisgruppen Germanistik […] Frankfurt: Peter Mosler 6. Frankfurt/M, Porthstr. 1 – 3[…].“

Brief des AStA vom 1. April 1969 an den Rektor: Antwort auf dessen Brief vom 26.03.1969 wegen Basisgruppen

Mit Erstaunen und mit Freude vernehmen wir, daß Sie jetzt auch ‘zurück zur Basis kehren wollen’, denn nicht anders können wir Ihre Bitte um Aus­kunft über studentische Basisgruppen ver­stehen. Wir entsinnen uns auch Ihres Schreibens an den Lehr­körper vom Januar ds. J., worin Sie – wohl noch vor der jetzt vollzogenen Bewußtseinsänderung – Dozenten und Professoren untersagten, an studentischen Arbeitskreisen teilzunehmen. – Wir nehmen daher an, daß Sie diese Anweisung nach ausführli­cher Beschäftigung mit dem Phänomen studentischer Arbeits­kreise erließen. Des weiteren sprachen Sie diese Arbeits­kreis auch in einem Aufruf ‘an alle Studenten’ vom 6.1. an. – Sicher­lich wird Ihnen auch das Schreiben des Privatrechtlichen Semi­nars im Institut für Wirtschaftsrecht bekannt sein, welches dem Kultusminister mit­teilte, daß es sich als ein studentischer Ar­beitskreis im Sinne Ihrer Anweisung versteht, usw. usw. usw. Wir können uns daher zur Sache kurz fassen: – Der AStA ver­steht unter Basisgruppen Arbeitskreise, die um die Erkenntnis neuer wissenschaftlicher Inhalte und Formen bemüht sind. Hier­über befinden alle an einem solchen Arbeitskreis Beteiligten nach ausführlicher Diskussion. Selbstverständlich können bzw. nehmen daran auch Dozenten und Assisten­ten teil. – Die Finan­zierung dieser Arbeitskreise kann durch den AStA nur ungenü­gend ge­währleistet werden, da seine Mittel für anderweitige Aufgaben bereits gebunden sind. Um so mehr hören wir mit Be­fremden, daß Sie auf ei­ner Senatssitzung Anstoß an dem Ver­halten von Pro­fessoren genommen ha­ben sollen, die ein Schrei­ben des Kultus­ministeriums, das die Mittelbereit­stellung für studentische Ar­beitskreise betraf, an Fachschaften weiter­leiteten. Wir halten das nicht für die feinste Art unter Genossen, sollte das zutref­fen, doch glauben wir, daß sich Ihr Verhalten in dem Maße än­dern wird, wie Sie sich um so mehr mit studentischen Arbeits­kreisen beschäftigen. – Im übrigen dürfen wir unsere Bitte wie­derholen, daß man sich unter Genos­sen nicht so viel Scherereien machen sollte. – Venceremos!“

Protest gegen die Amtsenthebung der Fachschaftsvertreter „Deutsches Seminar“ und Vollversammlung am 24. April 1969

„Gegen Ende des letzten Semesters entdeckte der Rektor dieser Universität, Herr Rüegg, sein Interesse an der – nun politi­schen – Arbeit der Fachschaften: er forderte diese auf, sich praktisch seiner Kontrolle zu unterwerfen; die Fachschaftsver­tretung des Deutschen Seminars lehnte diese politische Kontrolle strikt ab. – Nachdem in den letzten Tagen des Wintersemesters eine neue, nun wieder als politische sich verstehende Fach­schaftsvertretung gewählt war, war es der geschäftsführende Direktor des Deutschen Seminars, Herr Brackert, der – als bisher einziger Ordinarius der Universität – in kühner Wahrnahme sei­ner politischen Sendung dem Rektor die Sabotage der Fach­schaftsarbeit abnahm und die erste einer ganzen Reihe von Amtsenthebungen von Fachschaften zustande bracht; B’s vorgeb­liche Gründe: es sei nicht erwiesen, daß nur Germanisten ab­stimmten – die Wahl sei nicht korrekt angekündigt und durch­geführt worden etc. – Wir werden deswegen am Donnerstag (24.April), um 18.00 Uhr in Hörsaal H (gegenüber der Aula) eine Fachschaftsvollversammlung stattfinden lassen, in der über das weitere Vorgehen zu diskutieren wäre. – Als Tagesordnung schlagen wir vor: – Wiedereinsetzung der Fachschaftsvertretung – Diskussion der drei studentischen Seminare – Diskussion über den Umbau des Deutschen Seminars – Seminarprogramme des kommenden Wintersemesters – Diskussion des neuen Ordnungsrechts – (Selbstverständlich ist dieser Vorschlag nicht verbindlich).“

Brackert

Fotos nach der Räumung eines besetzten Raums im Deutschen Seminar (Ende April 1969)

Eine Zusammenstellung von einigen Fotos

Besetzung der Räume des Deutschen Seminars am 26. Juni 1969 und anschließende polizeiliche Räumung. – Brackert im Zentrum der Auseinandersetzung

„1.Wandzeitung am Mo, 23.6.69 (bis ca. 17 Uhr aushängend): ‘…Eine bei der Zerstörung der letzten Wandzeitung erwischte Hausmeister – Ratte verwies uns an den flotten Ordnungsrechtler Denunziant – Brackert. Die Unmöglichkeit, sich zu rechtfertigen, wird uns Brackert auf der VV, am Do.26.6. 13 Uhr demonstrie­ren…’ – 2.Äußerungen von Herrn Wimmer: – Hausmeister Bidmann sei beim Abreißen der Wandzeitung erwischt worden; nach einigem Sträuben habe er über den Auftragsgeber geäußert, man solle sich an die Seminarleitung wenden. – 3.Herr Bidmann (persönlich in der Jügelstr.). – Er kon­trolliere das Dts. Seminar gelegentlich nach Verschluß, wurde am letzten Freitag, nachdem er das leere Seminar verschlossen hatte, von Studenten umringt und aufgefordert, den Auftraggeber zu nen­nen, er sagte dabei, er reiße Wandzeitungen an den Hauptein­gangstüren und Trep­penhäusern ab, nicht in den Seminaren und habe das auch nicht getan. – Für die Szene hatte er zunächst 1 (Pförtner) dann 2 (Wachmann) Zeugen. – Außerdem hätte sich diese Studenten­gruppe auch an den ausländischen Arbeiter der Putzfirma ge­wendet. – 4.Herr Riehn in einem Telefongespräch mit Herrn Schlosser: Es existiere keine Anweisung des Rektors, Wandzei­tungen zu entfernen. – 5.Herr Wimmer (in 2 späteren Telefon­gesprächen): Die Arbeiter der Reinigungsfirma (u.a. ‘1 Spanierin’) hätten Herrn Bidmann als denjenigen, der die Zeitungen abriß, beschrieben und später in seiner Gegenwart bezeichnet.“

Besetzung der Räume des Deutschen Seminars am 26. Juni 1969 und anschließende polizeiliche Räumung. – Brackert im Zentrum der Auseinandersetzung

Wegen der Besetzung des Instituts kommen der Rektor und Brackert als geschäftsführender Direktor des Seminars überein, das Institut vorübergehend zu schließen und die entsprechenden Lehrveranstaltungen ausfallen zu lassen.

Flugblatt vom 26.06.1969 der Basisgruppe Germanistik: „Die Po­lizei muß her – vierzig Germanistikstudenten verhaftet

„Am Donnerstag, den 26.Juni, haben die Germanisten in einer Voll­versammlung mit überwältigender Mehrheit (zwei Gegenstim­men) eine Resolution gegen das Ordnungsrecht verabschiedet. Die Resolution richtet sich an die Adresse der Ordinarien, die es vorgezogen haben, der Vollversammlung fern zu bleiben. – Die Ordinarien sollten er­klären, das Ordnungsrecht nicht anzuwen­den. Sie sollten sich weiter verpflichten ‘unter dem Schutz der Polizei an diesem Institut nicht zu lehren… und weitergehend bei Einsatz der Polizei auf dem Uni­versitätsgelände ihre Veran­staltungen einzustellen’. – Der Schluß der Resolution lautet: – ‘Die Lehrenden betrachten diese Erklärung als eine Mindestvor­aussetzung für eine gemeinsame Seminarpolitik mit den Studen­ten’. – Die Antwort war mehr als zynisch: Als die Studenten in das Seminar gingen, um mit Assistenten und Professo­ren zu diskutieren, ließen die Assistenten wortlos die Polizei holen. Etwa 40 Studenten wurden verhaftet. – Das Ordnungsrecht brauchen diese Typen gar nicht. Sie haben ja das Polizeirecht! – Wir werden morgen Kampfmaßnahmen diskutieren und beschlie­ßen! – Teach – in Freitag 11 Uhr Hörsaal VI – Basisgruppe Ger­manistik.“

Flugblatt Basisgruppe Germanistik 26.6.1969; Archiv „Kampf den Technokraten und Ordnungsrechtlern! Kampf dieser Institutsleitung! – Studentische Seminare: – Die studentischen Seminare sind Opposi­tion gegen die verrottete Ordinarienuniversität und Kampf­mittel ge­gen technokratische Disziplinierungsversuche zugleich. Konsequent beziehen sich spätere Berufspraxis (Schul – Hoch­schule), Kritik der bestehenden Wissenschaft (Wissenschaftstheorie) und Verwertungskritik (Trivialliteratur) ein. Dem erklärten Ziel der Seminare: Per­spektiven für eine po­litische Praxis zu gewinnen standen die Pro­fessoren alter Prä­gung (Burger, Stöcklein) hilflos und interesselos gegenüber, nicht so der Technokrat und Karrierist Brackert. Mehr aus dem In­stinkt des Untertanen, als aus Einsicht in seine Funktion, ahnte er, das Reflexion auf kritische Praxis sich der totalen Funktio­nalisierung der Individuen entzieht und versucht mit allen Mit­teln die studentische Initiative zu verhindern: – in der Ankün­digung in Vorlesungsverzeichnis brach er die Abmachung mit den Studenten, indem er die Seminare als Randveranstaltungen (Kolloquien), unwichtig und unliebsam ankündigte – er mischte sich in die inhaltliche Projektierung der Seminare ein, indem er durch seinen Lakaien Schlosser verlangt, das Seminar ‘Schule – Hochschule’ solle sich mit stupidem Widerkäuen von Lesebuch­analysen beschäf­tigen – Zusammenarbeit des Seminars mit kriti­schen Schülern und dem SLB lehnte er ab, als habe er etwas zu sagen – verweigerte jegliche Mittel für studentische Seminare und glaubte noch gegen das Aufstellen der Seminarapparate im Fachschaftszimmer stänkern zu können, wo doch die gesamte Li­teratur für die Seminare aus den Privatbeständen der Teilnehmer stammt. – Hand in Hand geht diese ‘Politik’ gegen die stud. Se­minare mit der gegen Fachschaft und Ba­sisgruppe. Wenn Burger und Stöcklein wie falsch auch immer, ihre Wissenschaft als Hobby betreiben, so ist sie ihnen Liebhaberei, Brackert aber einmal Institutsdirektor geworden, dient sie nur noch dazu ihm den Posten des Managers über einen Sektor der Untertanenfabrik zu ermöglichen. Sie ist ihm Vehikel zu zweifelhaf­ter Karriere. Jeglichen Inhalts entleert beläuft sich seine ‘Argumentation’ auf Verwaltungs – und Dekretsebene. Mit der ver­selbstständigten Verwaltung geht der Ruf nach Polizei und Ord­nungsrecht einher. – Kampf den Technokraten – Brackert in die USA – Fachschaft: – Die Satzungsdiskussion ist am sprachlosen Nein der Ordinarien gescheitert. Nun glaubt die Institutsdirektion sich von jeglicher Absprache mit studentischen Gremien entbunden. (Man denke an den überraschenden gegen die Interessen der Studenten vollzo­genen Umbau). – Da die Fachschaften der Phil. Fak. vor allem, gemeinsam mit AStA zu einem gefährlicheren Instrument studen­tischer Politik geworden sind als der SDS, begann Rüegg seine Kam­pagne gegen Fachschaften auf verwaltungstechnischer Ebene, mit ju­ristischem Kampf. – Mit jenem Rüegg, der öffentlich aller­orten rühmt ein so hervorragender Bezwinger der Studentenre­volte zu sein: Poli­zeieinsatz Notstandsstreik – Polizeieinsatz Myliusstraße – Polizei­einsatz Inst. F. Soz. – Polizeieinsatz Ta­heriimmatrik. – Polizeieinsatz Wiso – Inst. – Permanente Bespit­zelung durch Kripo – mit eben jenem Rüegg arbeitet Brackert Hand in Hand – Büttel des Polizeiterrors – Back in the USA – Die wie alle Jahre zuvor gewählte Fachschaft ficht Brackert mit dem fadenscheinigen Argument an, Fachfremde hätten sich an der Wahl beteiligt, die daraufhin von einer VV be­stätigte Fach­schaft mit dem Argument, es sei nicht geheim gewählt worden, abermals sei nicht zu kontrollieren, wer gewählt habe. Ver­suche, studentische Politik zu vereiteln, finden auch noch nach der geheimen Wahl statt. – Beim AStA erfahren wir, die Fachschaft sei noch nicht bestätigt durch das Rektorat, Rückfrage bei der Insti­tutsdirektion (Gespräch mit Seitz) ergibt, Brackert erwäge die Wahl­anfechtung, Rückfrage beim Justitiar ergibt, seit vier Tagen liege ein Antrag der Institutsdirektion vor, Rückfrage bei Brackert ergibt, er, Brackert, habe mit der Sache nicht zu tun, abermalige Rückfrage beim Justitiar ergibt, dieser könne sich nun nicht mehr erinnern, auf wen der Antrag auf Wahlanfech­tung zurückginge, auf seine oder auf Brackerts Initiative, er habe darüber lediglich ein informelles Gespräch mit Brackert gehabt, usw. usw… Kurios genug, aber im­merhin kann Brackert so jede Verhandlung mit Studenten ablehnen, für ihn gibt es keine anerkannte Vertretung der Studenten. So si­chert sich der Fabrikherr ungehindertes Verwalten dessen, was er Wissenschaft nennt und als Perpetuum seiner Karriere benutzt. – Will Brac­kert Rektor werden? – Back in the USA – Brackert und das po­litische Kommissariat 18: – Auf das obrigkeitsstaatliche Dekret der Brackert und Schlosser über ‘wildes Plakatieren’ erfolgte die Ankündigung einer Vollversammlung auf der Schönen Weißen Neuen Wand. Wer da nun gemalt hatte, blieb unbekannt. Man hätte höchstens – auf Druck von Rektorat und Fak. – Anzeige gegen Un­bekannt erstatten können bei einer zuständigen Be­hörde. Nicht so die Brackertschlosser für sie sind die ‘Täter’ ausgemacht, nicht ir­gendeine Polizeistelle ist zuständig (etwa die für Sachbeschädigung) sondern das politische Dezernat K 18, die Dienststelle der Politbul­len Panitz, Springer, Noll, etc. – Beim K 18 liegt ein Schreiben, un­terzeichnet von Schlosser, daß die vermutlichen Täter die Studenten Knöss, Mosler und Schmid seien. Dieser Brief erfüllt den Tatbestand der Denunziation po­litischer Gegner, reiht sich ein in die widerwär­tig intrigante Po­litik dieser Institutsdirektion. – Welchen Zweck be­absichtigt diese Denunziation? – Mosler ist Brackert bekannt als vielfacher Sprecher der Basisgruppe, Schmid ebenfalls, zudem ist er Fach­schaftssprecher, Knöss befand sich im permanenten Kleinkrieg mit der Geschäftsführerclique wegen zugesagter, dann nicht einge­haltener Rechte der stud. Seminare. Hier bereitet Brackert ord­nungsrechtliche Maßnahmen gegen Kommilitonen vor, die zu relegie­ren sind, wenn einmal strafrechtlich verfolgt. – Geht es schließlich auf Brackerts Initiative zurück, wenn bei den klein­sten Unruhen an der Universität zivile Kripo – Bullen das Deut­sche Seminar bewachen? – Brackert – Der Littmann des Deut­schen Seminars – Back in the USA – Kampf den Ordnungsrecht­lern in Ministerien und Instituten!!! – Brackert und das Fach­schaftszimmer: – Anläßlich der Wandbema­lung im Flur rief Brackert das K 18. Anders verfährt er im Punkt des Fach­schaftszimmers. Nach Justitiar, Rektor, politischer Polizei ver­sucht er das Kuratorium gegen die Studenten zu mobilisieren. Die Fachschaft (von keiner dieser administrativen Chargen an­erkannt, nun plötzlich angeschrieben) habe – so der Kurator – Brief – inner­halb von vier Wochen das Fachschaftszimmer zu renovieren, sonst werde es auf Kosten der Studenten geschehen. Das Zimmer sei in ‘desolatem Zustand’ (Brief – Zitat). Nicht nur war das ganze Seminar renovierungsbedürftig und wurde wohl deshalb auch renoviert, mit Ausnahme des Fachschaftszimmers, auch fragt es sich, woher Brac­kert jähes Interesse für ein Zim­mer herrührt, das zu betreten er seit Wochen sich hütet. Die scheinbaren Ungereimtheiten des Herrn Brackert sind politisch gemeint, wir müssen sie deshalb politisch interpretieren. Nicht geht es dem Direktor um ein sauberes Seminar, diese Maßnahme reiht sich ein in die Diffamierungskampagne gegen die aktiven Studenten, in Fachschaft, Arbeitsgruppen und Basis­gruppe. – Wir werden kein Fachschaftszimmer renovieren, das Brac­kert desolat erscheint, aber wir werden die Wissenschaft Brackerts bekämp­fen, die wir als desolat erkannt haben. – Ein renoviertes Semi­nar macht noch keine neue Wissenschaft. – Kämpft nicht für ein Seminar, das frei ist von politischen Parolen – Kämpft für eine Wissenschaft, die frei ist von Affirmation – Kämpft für eine Univer­sität, die frei ist von Ordnungsrecht – Eine Kampagne gegen das Ordnungsrecht hat sich theoretisch zu legitimieren. Wir werden diese Legitimation in der Vollversammlung am Don­nerstag um 13 Uhr im Hörsaal VI leisten. Zu diesem Kampf gegen Ordnungsrecht und Technokratie gehört der Kampf gegen Ord­nungsrechtler und Techno­kraten im Institut. Wir werden Forde­rungen an die Ordinarien stel­len, die uns einen freien Wissen­schaftsbetrieb ermöglichen, die uns politische Argumentation und Aktion gewährleisten. – Wir fordern die Ordinarien zu Stellung­nahmen zur Hochschulreform, zu Garantien gegen das Ordnungs­recht, zur Aufdeckung der Personalpolitik und der Instituts­haushalte. – Wir werden unseren Kampf gegen Techno­kratie und Ordnungsrecht führen, indem wir die Institutsleitung der Ord­nungsrechtler und Technokraten, der begriffslosen Stänkerer und Denunzianten bekämpfen. – Wir werden den Kampf gegen das Ord­nungsrecht, das Kritik kriminalisiert, nicht nur theoretisch führen, sondern jeden Ansatz dazu praktisch im Institut und der gesamten Universität bekämpfen. – Wir werden die Entwürfe, ihre Autoren und ihre Antizipatoren bekämpfen, bis diese Uni­versität frei ist von Ordnungsrecht und Ordnungsrechtlern. – Kommt zur Vollversammlung am Donnerstag, 26.6.1969, 13.00 Uhr, Hörsaal VI.

Flugblatt Schlossers vom 26.06.1969: Zu Strafanzeige wegen Sachbe­schädigung

„Die in den letzten Tagen auf Flugblättern gegen die Ge­schäftsführung erhobenen Anschuldigungen sind größtenteils so ab­surd, daß man annehmen darf, sie erledigten sich bei denen, die noch bereit sind, Fakten anstelle von Interpretationen zur Kenntnis zu nehmen, von selbst. – Nur ein Beispiel: Jedermann kann sich davon überzeugen, daß keineswegs das ganze Seminar mit der einzi­gen Ausnahme des Fachschaftszimmers renoviert worden sei. Das ist schlicht eine Lüge, die von ihren Urhebern bewußt als Propaganda­trick gebraucht wird. – Nicht anders steht es mit der Behauptung, die Geschäftsführung habe ihre Anzeige gegen die Wandschmiererei am Seminareingang dem politischen Kommissariat der Frankfurter Po­lizei (K 8) übergeben. Das ist wiederum eine Lüge. Ich persönlich habe im Auftrag des ge­schäftsführenden Direktors und mit vorheriger genereller Zu­stimmung aller Lehrenden auf der Revierwache in der Schloß­straße Anzeige wegen Sachbeschädigung gegen Unbekannt er­stattet. Ein Täterverdacht ergab sich allerdings nachträglich – und aus diesem Grund wurden wiederum auf genannter Revier­wache Zeu­gen genannt – , als sich Herr Mosler auf einer studen­tischen Ver­sammlung mit einer kollektiven ‘Wir haben das ge­macht!’ zu dieser Schmiererei bekannt hatte. – Die Anwürfe ge­gen die Geschäftsfüh­rung haben bereits seit langem ein Niveau erreicht, das für sich spricht, doch daß mit bewußten Lügen gearbeitet wird, ist relativ neu.“

Bericht>27.06.1969>>Blohmert: „Augenzeugenbericht“

Was die Genossen um K.D. Wolff nach dem Teach – in am Frei­tag, dem 27.6.1969 um 11 Uhr bei der Besetzung des germani­stischen Seminars exemplarisch praktizierten, war die Anwendung blanker faschistischer Methoden. Man hatte auf dem Teach – in mit knapper Mehrheit den Beschluß gefaßt, ins germanistische Seminar zu ziehen um ‘Brackert zu einer Diskussion zu zwingen’. Nachdem etwa 200 Kommilitonen mit zur Jügelstraße 12 gezogen waren, K.D. Wolff mit seinen auf Auf­brechen von Türen spezia­lisierten Randalier – und Schlägertruppen den Eingang besetzt hielt, wurde ihm von zwei Kommilitonen gemel­det, es sei niemand im Seminar. Damit war vorläufig einer weiteren Aktion die Legi­timationsbasis durch Teach – in – Entscheid entzogen, denn dieser beinhaltete, ins Seminar zu ziehen, um mit Brackert zu disku­tieren. Daß Brackert nicht anwesend war, störte Wolff jedoch nicht. – Er gab den Befehl, den Eingang zum Seminar aufzubre­chen. Als dies zwei Genossen durch Fußtritte nicht gelang, ging man eine, für diesen Zweck anscheinend schon bereitgestellte Leiter holen. Dabei rief Wolff in die Menge: ‘Macht doch mal dem Fensterputzer Platz!’ Des weiteren gab er für den Fall des Ein­satzes der Polizei die Parole aus: ‘Hit and run!’ Während drinnen mit der Leiter die Tür endgültig eingerammt wurde, in der Folge im Seminar Schränke umgekippt wurden, zog man die Aufmerk­samkeit der Kommilitonen draußen auf Eierwürfe, um sie von den Vorgängen im Innern des In­stituts abzulenken. – Es wurde auch weiterhin bis zum Eintreffen der Polizei den Kommilitonen vor dem Seminar, die auf eine Semi­narbesetzung warteten, ver­schwiegen, daß Brackert gar nicht anwe­send war, daß man aber drinnen die Räume verwüstete. Als schließ­lich die Polizei ein­traf, glaubte Wolff den Kommilitonen klarmachen zu müssen, welche Unverschämtheit der Polizeieinsatz sei, wo man doch nur friedlich draußen vor der Tür des Seminars diskutiert habe. – Die Taktik dieses Vorgehens liegt eindeutig auf der Hand. Nachdem die Legitimation für die geplante Aktion entzogen war, suchte man eine Basis für einen organisierten Polizeieinsatz, um diesen als Vorwand für weitere Aktionen ausnützen zu können. Den Kommilitonen wurde vorgespielt, dieser Einsatz sei die Re­aktion re­pressiver Gewalt auf friedliche Diskussions­bereitschaft. – Man kann darüber streiten, was Faschismus ist. Die Methoden des Faschismus jedenfalls sind hinreichend bestimmt und be­kannt. Die Genossen ha­ben sie hier in die Praxis umgesetzt. – Jürgen Blohmert (ADS).“

Die Strafanzeige des Rektors vom 26. Juni 1969 gegen Eindringlinge in Räume des Deutschen Seminars

Brackert
Brackert
Brackert
Brackert

Artikel>27.06.1969>>FNP: „Aktionen vor Semesterschluß: 48 Festnahmen in Frankfurt!“

„Seminar aufgebrochen – Löschwasser in den Hörsaal – Genau zwei Wochen vor Semesterende flammten gestern noch einmal die Unruhen an der Frankfurter Universität auf. 48 Studenten, zumeist SDS-Anhänger, wurden gestern nachmittag von der Polizei vorübergehend festgenommen, nachdem sie die Tür des Germanistischen Seminars in der Nähe der Universität aufgebrochen hatten, das Institut besetzten, dort Wände besprühten, Schlüsse entwendeten und rote Fahnen aus den Fenstern hißten. Nach etwa einer halben Stunde gelang es der Polizei, auch die übrigen Demonstranten, insgesamt rund 400, zu zerstreuen. Vorübergehend kam es dabei zu Verkehrsstockungen. Die Demonstranten hatten mit geparkten Personenwagen und Baumaterialien eine Straßensperre errichtet. Die Universität hat Strafanzeige wegen schwerer Sachbeschädigung erstattet. Mit einem Feuerlöschschlauch hatten bereits am Vormittag rund 15 SDS-Anhänger ihre eigenen Kommilitonen und den Privatdozenten Der. Kohlmann während einer Vorlesung bespritzt und eine Flut von Farbbeuteln und Feuerwerkskörpern gegen sie geschleudert. Anschließend flüchteten sie blitzschnell in einem Firmenwagen, mit dem wahrscheinlich die großen Farbmengen herantransportiert wurden. Institut dem Hörsaal, der zeitweilig unter Wasser stand, entstand beträchtlicher Sachschaden. Die Kleidung von über 30 Studenten und des Dozenten wurde völlig verdorben. Die Betroffenen haben ebenfalls Strafantrag gestellt. Die Frankfurter Kripo hat die Spurensicherung aufgenommen. Ein AStA-Sprecher stellte ab Montag ein neue ‘Aktionswoche’ in der Frankfurter Universität in Aussicht. Mit Flugblättern, Versammlungen und zu Diskussionen ‘umfunktionierten’ Vorlesungen setzten die Studenten an den meisten Universitäten und Hochschulen von Baden-Württemberg am Donnerstag ihren ‘aktiven’ Streik’ gegen die Novelle der Landesregierung zum Hochschulgesetz fort. Sie protestierten damit besonders gegen die Ordnungsrechts-Bestimmungen und gegen die geplante Auflösung der Studentenschaft als Zwangskörperschaft. in Stuttgart sperrte die Polizei das Gebiet um den Landtag, in dem die Novelle behandelt wurde, mit Stacheldraht und Sperren ab.

Artikel>27.06.1969>>FR: „Wieder einmal: Polizei in der Frankfurter Uni!“

SDS sprengte Vorlesung mit Feuerwehrschlauch/ Seminar aufgebrochen – Insgesamt 48 Studenten, darunter neun Mädchen, vorwiegend SDS-Angehörige, wurden Gestern gegen 15 Uhr von der Frankfurter Polizei vorübergehend sistiert, nachdem sie die Tür eines Seminargebäudes in der Jügelstraße aufgebrochen hatten, in das Institut eindrangen und rote Fahnen aus den Fenstern hängten. Institut dem Gebäude gab es einige Sachbeschädigungen. Ein Gruppe von Studenten jagte drei Assistenten des Seminars quer über das Universitätsgelände und bedachte sie mit Beschimpfungen. Die Assistenten konnten sich in Sicherheit bringen. Nach der Räumung des Seminars setzten sich die Auseinandersetzungen mit der Polizei auf der Straße fort. Ein größere Gruppe von Studenten wippte plötzlich an der Einmündung der Jügelstraße – Bockenheimer Warte mehrere abgestellte Autos in die Fahrbahnmitte, um damit die Ausfahrt der Polizeifahrzeuge zu blockieren, vielleicht auch, um den Abtransport der 48 vorläufig Festgenommenen zu verhindern. Die Polizei griff sofort ein, und zog diese Barrikade wieder auseinander. Dabei kam es zu kleineren Rempeleien, ohne daß die Beamten von ihren Schlagstöcken Gebrauch machten mußten. Eine weitere Gruppe von Studenten blockiert indessen für einige Minuten den Verkehr an der Kreuzung Bockenheimer Landstraße – Senckenberganlage durch ein ‘Sit-in’ auf der Fahrbahn, wurde jedoch auch dort vertrieben. Vorübergehend kam es zu großen Verkehrsstockungen und minutenlangen Hupkonzerten erboster Autofahrer. sie wurden von den Demonstranten mit ‘Sie Heil – Rufen’ bedacht. Die Universität hat Strafanzeige gegen die Studenten wegen schweren Hausfriedensbruchs erstattet. – Mit einem Feuerwehrschlauch hatten gestern vormittag gegen 11.30 Uhr mehrere Mitglieder der SDS-’Kampfgruppe’ ihre eigenen Kommilitonen sowie den Privatdozenten Professor Dr. Günther Kohlmann im Hörsaal VI unter Wasser gesetzt. Die SDSler, die durch hinter dem Podium gelegene Notausgangstüren in den Hörsaal eingedrungen waren, warfen rote und schwarze Farbbeutel sowie mehrere Feuerwerkskörper, die jedoch nicht detonierten. Die Kleidung von über 30 Studenten und von Professor Kohlmann wurde durch Wasser und durch Ölfarbe völlig verdorben. Die SDS-Anhänger flüchteten anschließend, verfolgt von mehreren anderen Studenten unerkannt mit einem Firmenwagen, in dem wahrscheinlich die Farbmengen vorher angeschafft worden waren. Das Kennzeichen des Wagens wurde notiert. Die Frankfurter Kripo hat bereits die Spurensicherung aufgenommen. Bisher haben über 20 Studenten Strafanzeige gegen die ‘Terroristen’ erstattet. Wie berichtet, hatte die ‘Kampfgruppe Jura’ bereits am Mittwoch die Vorlesung ‘Strafrecht, besonderer Teil’ gegen den Willen der meisten Hörer mit einem Happening gesprengt, und dabei eine eindeutig Schlappe erlitten. Dozent Kohlmann: ‘Das war ein eindeutiger Racheakt. Mich hat es halb vom Podium gespült. Trotzdem lasse ich mich nicht einschüchtern und werde versuchen, meine Vorlesung weiter zu halten. Das nächste Mal komme ich mit meinem allerältesten Anzug. Der Hörsaal VI stand eine Zeitlang unter Wasser, ist stark verschmiert und ‘fällt vorläufig für weitere Lehrveranstaltungen aus’, wie die Uni – Pressestelle mitteilte. Dennoch tagten in ihm eine Stunde später schon wieder rund 150 Studenten zu einer Germanistik – Vollversammlung, bei der es um das Ordnungsrecht ging. Nach einer spontanen Kampfabstimmung zogen etwas 50 bis 80 dieser Studenten zum Seminar des Institutsdirektors, Professor Brackert. Brackert war allerdings nicht anwesend. Seine Assistenten hatten sämtliche Türen und Fenster verriegelt. – Scheibe eingedrückt – Einer Gruppe von 40 bis 50 Studenten gelang es, eine kleine Scheibe einzudrücken und die Türe von innen zu öffnen. Eine Besetzung – so ein Mitglied der Fachschaft – sei nicht geplant gewesen. ‘Es ging lediglich um die Diskussion des verfassungswidrigen Ordnungsrechts’. Die Assistenten zeigten sich allerdings nicht an dieser Diskussion interessiert. Assistent Frey forderte die Anwesenden auf, das Gebäude zu verlassen. zehn Minuten später erschien die Polizei und begann unverzüglich mit den Festnahmen. Dabei wurde keinerlei Widerstand geleistet. Nachdem das besetzte Institut geräumt und die Demonstranten zerstreut worden waren, kehrten rund 100 Studenten, vorwiegend SDS-Angehörige, noch einmal in die Universität zurück. Es wurde vorläufig auf weitere Aktionen verzichtet, die aber in der nächsten Woche ‘massiv’ wiederaufgenommen werden sollten. Für heute, Freitag, ist ein gesamtuniversitäres Teach-in angesetzt. Unmittelbar im Anschluß an die Störung hatten 17 Hörer der zitierten Strafrechtsvorlesung eine Resolution verfaßt, in der sie das Vorgehen der SDSler gegen eigene Kommilitonen ‘auf das schärfste verurteilen’. Inzwischen hat ein weiterer Hochschullehrer, Professor Preiser, seine Vorlesung ‘Strafrecht – allgemeiner Teil’ für den Rest des Semesters eingestellt, ‘weil sie laufend von pöpelhaften Randalierern gestört wurde und die Grenze dessen erreicht war, was Lehr – und Lernwilligen zugemutet werden kann.’ – Presseerklärungen – Institut einer Erklärung des ‘Aktionskomitees Demokratischer Studenten’ (ADS) heißt es: ‘Beim heutigen Einsatz der Terrorkampfgruppe Jura in der Strafrechtsvorlesung Kohlmann zeigt sich eindeutig, daß diese Gruppierung mit Gewalt auf die Schließung der Juristischen Fakultät hinzielt. Damit haben der SDS und die ihn stützenden Gruppen endgültig ihren Anspruch, Avantgarde der Studentenschaft zu sein, verloren. Farbbeutel geben Kommilitonen sind kein Ersatz für Argumente.’ Die Kreisverbände Frankfurt Mitte und Frankfurt Süd der Jungen Union stellen fest, ‘daß sich die kriminellen Aktionen vom Donnerstag erstmalig nicht gegen die Universitätsverwaltung und die Ordinarien richteten. Die Junge Union fordert die Studenten auf, die Vorlesungen weiter zu besuchen und selbst für einen ungestörten Ablauf der Lehrveranstaltungen zu sorgen. Dabei soll auf Gewaltanwendung verzichtet werden.“

Artikel>28.06.1969>>FR: „Neue Eskalation an der Frankfurter Universität.“

„SDS – Kampfgruppen stürmten wieder die Räume des Germanistischen Seminars/ Polizei kam zu spät. Die Situation an der Frankfurter Universität hat sich weiter zugespitzt. Am Freitagvormittag war das Germanistische Seminar in der Jügelstraße abermals Schauplatz schwerer Ausschreitungen durch linksextreme Studentengruppen. Nachdem – wie berichtet – die Universitätsleitung bereits am Donnerstag die Polizei gerufen hatte, als Demonstrierende gewaltsam die dort tagende Vollversammlung der Germanisten störten, bildete sich am Freitag unter der Führung des SDS – Mitglieds Karl – Dietrich Wolff nach einem ‘Teach – in’ eine Kampfgruppe und stürmte gegen 12.30 Uhr die im Parterre liegenden Institutsräume. Man hatte zunächst versucht, durch die Hintertür einzudringen, gab dieses Vorhaben jedoch nach vergeblichen Bemühungen wieder auf und zertrümmerte schließlich mit einer Leiter den Haupteingang. Die Räume, insbesondere das Zimmer des Seminarleiters Professor Brackert, wurden schwer verwüstet. Die Eindringlinge warfen mehrere Schränke um, verstreuten Bücher auf dem Boden und beschmierten die Wände mit Parolen. Der Übergriff kam völlig überraschend: Als die Polizei in der Jügelstraße eintraf, war die Gruppe – getreu der von Wolff ausgegebenen Losung – ‘hit and run’ (Zuschlagen und verschwinden) – bereits wieder auf dem Universitätsgelände unterwegs. Sie hinterließen zerbrochene Glasscheiben, herausgerissene Türfüllungen und Möbel. – Kette vor dem Rektorat – Die Polizei besetzte die Eingänge mehrerer Institute und bildete eine Kette vor dem Rektorat. Unterdessen zog die Kampfgruppe von Hörsaal zu Hörsaal, um Vorlesungen zu stören. Die Ankündigung, auch das zweite Germanistische Seminar in der Gräfstraße zu stürmen, wurde bis zum Nachmittag jedoch nicht wahrgemacht. Statt dessen setzte man vor dem Studentenhaus eine Diskussion an. Bereits vor dem zweiten Übergriff hatte das Deutsche Semester eine Stellungnahme veröffentlicht und darauf hingewiesen, daß alle germanistischen Lehrveranstaltungen wegen der von der Basisgruppe angekündigten Kampfmaßnahmen bis auf weiteres ausfallen. ‘Die Gewalttätigkeit des Eindringens (am Donnerstag) und das sofortige Aushängen roter Fahnen beweisen eindeutig, daß eine Diskussion mit Professor Brackert, der sich – wie in der vergangenen Versammlung bekanntgemacht wurde – zu dieser Zeit gar nicht in Frankfurt aufhielt, nicht, wie vorgesehen, das Ziel dieser Aktion sein konnte.’, heißt es in der Verlautbarung wörtlich. In keiner Weise sei der Zusammenhang solch ‘irrationaler Aktionen’ mit der Problematik des Ordnungsrechts sichtbar. Bei dem Polizeieinsatz am Donnerstag waren – wie berichtet – 48 Personen festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt worden. Bis Freitag nachmittag kam es indessen zu keiner Festnahme. Der Hörsaal V, der schon am Donnerstagvormittag von Demonstranten unter Wasser gesetzt und mit Farbbeuteln verschmiert worden war, kommt nach Auskunft der Universitätspressestelle bis zur Renovierung für Vorlesungen nicht mehr in Betracht. Dies mache sich in Anbetracht der Raumknappheit an der Hochschule empfindlich spürbar. – Zunehmende Terrorisierung – Gegen die erkennungsdienstliche Behandlung der am Donnerstagnachmittag festgenommenen Studenten richtete sich ein Antrag auf einstweilige Anordnung beim Frankfurter Verwaltungsgericht. Mit diesem Antrag wollen die Studenten die ‘Gesetzwidrigkeit dieser polizeilichen Maßnahmen’ feststellen lassen. Außerdem wollen sie mit ihrem Antrag die Einrichtung eines richterlichen Notdienstes erwirken, da in Frankfurt nach 16 Uhr die Rechtspflege zusammenzubrechen pflege, weil keine Richter mehr zu erreichen sei, der – wie es polizeirechtlich erforderlich ist – über die Richtigkeit polizeilicher Maßnahmen entscheiden könnte. Denn nach hessischen Sicherheits – und Ordnungsgesetz müssen festgenommene nach der Personalfeststellung unverzüglich einem Richter zur Entscheidung über die weitere Verwahrung vorgeführt werden. Beide gesetzlichen Gebote pflege die Frankfurter Polizei nicht einzuhalten, meinen die Studenten in ihrem Antrag. Das Aktionsprogramm Demokratischer Studenten (ADS) wandet sich gegen ‘die zunehmende Terrorisierung der Studenten’ durch studentische Kampfgruppen, die nicht einmal bereit seien, ihre Ziele konkret zu formulieren. Das ADS sieht eine Steigerung dieser Gewalt voraus, nachdem AStA – Chef Hartmann auf dem Teach – in“ der Germanisten am 27. Juni festgestellt habe, er könne sich auch Fälle denken, in denen er das Vorgehen der Studenten gegen Studenten nicht nur mit Farbbeuteln, sondern auch mit Gewehren billigen würde. Das ADS sieht in der sogenannten ‘Seminarbesetzung’ des Germanistischen Semesters vom 27. Juni eine bloße Farce, die lediglich dem Zweck dienen sollte, eine Mobilisierung der Studenten durch einen möglichen Polizeieinsatz zu erreichen. Das ADS ruft die Studenten und die Universität wiederum auf, sich nicht durch diese allzu durchsichtige Manöver provozieren zu lassen. Der AStA auf der anderen Seite warnt die Universitätsadministration vor einer neuen Eskalation an der Frankfurter Universität und bezichtigt sie, sie habe den AStA – Sprecher Klaus Katarski während eines Germanisten – Teach – ins von der Pol zusammenschlagen und verhaften lassen, nur weil er ein Megaphon getragen habe und als ‘Oppositioneller’ bekannt sei. Es sei das legitime Recht der Studenten, so sagt der AStA, bei ihrem Kampf gegen die Aussperrung und Polizeiterrror ihre Kampfmaßnahmen selbst zu bestimmen.“

Flugblatt>30.06.1969>>Basisgruppe Germanistik: „Basisgruppe Ger­manistik – Fachschaft“

„‘Einen Finger kann man brechen – aber fünf Finger geben eine Faust…’ – Was bei den Germanisten geschehen ist: – Durch dieses Paper sollen zunächst einige Zwecklügen von Seiten der ‘liberalen Öffentlichkeit’, die die Aktionen der Studenten krimi­nalisieren, auf­gedeckt und korrigiert werden, außerdem, und dies ist die wichtigere Funktion des Papers, sollen kurzfristige und langfristige Perspekti­ven für eine sozialistische Praxis angege­ben werden. Zur Darstel­lung der Fakten über die Festnahme der 48 Germanisten kann die Strafanzeige Rüeggs dienen: ‘Etwa gegen 14.45 Uhr beschloß die VV, das Germanistische Institut von Prof. Brackert, Jügelstraße, aufzu­suchen und mit Herrn Prof. Brackert und dessen Assistenten zu diskutieren. Die Insti­tutstüre war geschlossen und die Rolos herun­tergelassen, da eine entsprechende Aktion nach Informationen der Institutsan­gehörigen bevorstehen sollte.’ – Hier zeigt sich, daß im Be­wußtsein der Bürokraten die Kriminalisierung der Studentenbewegung schon soweit fortgeschritten ist, daß ohne jegli­che Bedenken Polizeimaßnahmen heute schon an der Tages­ordnung sind. Wir denken nicht daran, uns der verlogenen In­terpretation zu beugen, daß in unserem Recht auf Diskussionen eine kalkulierte Provokation liegt; vielmehr haben die Assisten­ten die Studenten kalkuliert provoziert, die sehr wohl wußten, daß wir die Tür öffnen würden, wenn sie sie schließen. Indem die Lehrenden die Studenten ausgesperrt haben, haben sie ihr Recht verteidigt, nichts als sprachlose Funktionsträger der Wis­sensfabrik zu sein. Indem wir das Seminar betreten haben, haben wir das Recht der Studenten auf ihre Produktionsmittel geltend gemacht. – Es hat sich wieder einmal er­wiesen, daß auf der Ebene der Institution keine verbindliche Dis­kussion mehr zu führen ist. Selbst der Versuch, die Lehrenden als Funktionsträ­ger innerhalb der Wissensverwertung zur demokratischen Legiti­mation zu bewegen, zu der sie innerhalb der VV nicht mehr be­reit sind (von See: ‘Ich habe es nicht nötig, mich vor den Stu­denten zu rechtfertigen…’), wird als Störung und ‘schwerer Haus­friedensbruch’ interpretiert. Jene, die diese Diskussion auf durchaus friedliche Weise (go – in in die Villa Stern) erzwingen wollten, werden als Aktionisten und Störer denunziert und mit Polizeigewalt elimi­niert. Damit wird exemplarisch der Zustand einer ordnungsrechtlich abgesicherten Hochschule vorweg genom­men; jede Aktivität, die über die bewußtlose Reproduktion des herrschenden Wissenschaftsbetriebs hinausgeht und ihn infrage­stellt, soll in einem automatischen Zu­sammenspiel von Universitätsbürokratie und Polizei kriminalisiert und unterdrückt werden. – Das hatten wir begriffen, als wir am Freitag ein Teach – in über die Ereignisse des Vortages veranstalte­ten. Selbst­verständlich werden die Polizeigermanisten aus der Jügel­straße nachträglich ihr Vorgehen vom Donnerstag mit der ‘hit and run’ Aktion vom Freitag rechtfertigen. Sie werden nicht begreifen, daß diese Aktionsform eine Konsequenz, nicht nur der Gewalt­maßnahmen vom Vortag waren, sondern aus der Gesamtentwick­lung der letzten Monate resultieren. (Versuchten nicht Rüegg, Brackert und seine Gang, kaum daß sie die studentische Opposi­tion zu Beginn der letzten Ferien und des SDS abgeschlafft wähnten, unsere Orga­nisation zu illegalisieren, wurden nicht gerade in einer Phase der Ruhe gezielte Strafanträge gegen Ge­nossen gestellt?!!!) Wir müssen also lernen, wie wir diese Gewalt unterlaufen und wirksam beant­worten können. Bestimmt nicht, indem wir uns mit der Polizei rum­prügeln: vielmehr, indem wir uns an die Verantwortlichen selbst, an die Schreibtischtäter, wenden. – Wenn wir uns in dieser Uni nicht mehr organisieren dürfen, ohne daß postwendend die bekannten pe­netranten Sire­nen losheulen, dann sollen auch andere dieses Ge­räusch fürchten lernen. – Wir fordern:
1. Die Lehrenden unter­schreiben die Resolution der VV vom 26.6. gegen das Ordnungsrecht.
2. Die Anzeige gegen die 48 Verhafteten Germanisten wird sofort zu­rückgezogen.
3. Einstellung aller Lehrveranstaltungen des Ger­manistischen Instituts bis zur nächsten VV. Freigabe aller Insti­tutsräume für die Durchführung studentischer Arbeitsgrup­pen.
4. Brackert, Schlosser, Frey und Seitz werden bis zum Semesterende keine Veranstaltungen mehr durchführen: wenn sie es dennoch ver­suchten, werden wir sie daran hindern.
5. Ende der nächsten Wo­che findet eine VV statt. (Woche vom 30.6. bis 6.7.)
Was wir aus der Polizeiaktion gelernt haben – Syndikalismus oder kollektive Selbsthilfe? – Die Germanistik ist ein Studium, das nicht einmal dazu taugt, die Welt zu interpre­tieren, geschweige denn, sie zu verändern. Diese reaktionäre Wissenschaft läßt sich nur zu reaktio­närer Praxis brauchen: zur geplanten kulturellen Unterentwicklung. Die ‘Politisierung der Germanistik’ ist bloß eine fade Verkleidung, unter der die Ger­manistik das Klasseninstrument der Bourgeoisie bleibt, während die Kulturrevolution sich als Revolution durch Kul­tur in den Köpfen akademischer Kleinbürger abspielt. Diese Wissen­schaft muß uns nur soweit interessieren, wie sich die bürgerliche Er­werbsgesellschaft für sie interessiert: zur Produktion von Leh­rern. Sie sollen die Sozialtechniken zur Deformierung von Cha­rakteren, die sie auf der Hochschule erlernt haben, auf der Schule praktizieren, um die alte Unvernunft von autoritativem Befehl und autoritärem Gehorsam aufrechtzuerhalten. Was sie darüber hinaus über den ‘Ackermann von Böhmen’, die Zweite Lautverschiebung und den ‘Wilhelm Meister’ gelernt haben, ist für die Berufspraxis schlechthin irrelevant. – Für unsere Strategie bedeutet das, daß wir die Parole Lernt was ihr wollt – lernt nicht mehr das, was ihr nicht lernen wollt energisch be­richtigen müssen. Wir werden uns auf lange Zeit auf eine rigide Trennung von Studium und vernünftiger Praxis ein­richten müs­sen. Das heißt, daß wir ein System kollektiver Selbsthilfe auf­zubauen haben, in dem wir die Studienanforderungen zur Errei­chung der Berufslizenz auf die billigste Weise absolvieren, um mög­lichst viel Zeit für vernünftige Praxis und die Aneignung brauchba­ren Wissens (Schulung) zu gewinnen. – Die Praxis der Basisgruppe, die schon jetzt gemeinsam mit jeder nur möglichen legalen und ille­galen Hilfe Studienanforderungen absolviert, muß allgemein werden. Voraussetzung dafür ist, daß wir unsere Ein­sicht über die Unver­nunft und luxuriöse Unwissenschaftlichkeit dieses Studiums in Han­deln übersetzen und jegliche Leistung dem routinierten Wissen­schaftsbetrieb gegenüber von jedem Rest libi­dinöser Besetzung be­freien. Mit der Rationalisierung, daß das ‘linke’ Referat, die ‘linke’ Klausur und Staatsexamensarbeit das Studium vernünftiger oder gar erträglich machen, täuschen wir niemand als uns selbst. – Mit der kollektiven Selbsthilfe werden wir in großem Umfang bei den Germa­nistischen Proseminaren II beginnen. Wenn wir angekündigt haben, daß wir die Veranstal­tungen von Brackert und seiner Gang in diesem Semester ver­hindern werden, wollen wir doch keinen Zweifel daran lassen, daß sich diese Aktion ausschließlich gegen die Betreffenden Lehrenden richtet. Wir werden mit älteren Genossen mit den Ar­beitsgruppen der Proseminare Kollektive bilden, die gemeinsam die Hausarbeit anfertigen werden. Die Organisation dieser Grup­pen in denen wir die studentische Solidarität dem Prüfungster­rorismus ent­gegenstellen werden, vereinbaren wir Freitag, den 4.7.69, 14.00 Uhr im Studentenhaus Raum 106. – Das System kollektiver Selbsthilfe kann nicht bedeuten, daß wir uns auf eine Tolerierung der herr­schenden Unvernunft einlassen. Wir werden weiterhin die Verände­rung und schließliche Abschaffung der Prüfungen und die Etablie­rung studentischer Seminare er­kämpfen. Darin hat Syndikalismus als organisierte Interessen­vertretung Unterprivilegierter sein Recht. Aber die Erfahrungen der Vergangenheit werden uns davor bewahren, wieder in die Fehler syndikalistischer Politik zu verfallen: die Hoffnung, ant­agonistische Interessen von Studenten und Lehrenden in einem ausgeglichenen System von Mitbestimmung zu harmonisieren, ist nachdrücklich an der hartnäckigen Borniertheit der Lehrenden zerschellt, die nie einen Kompromiß zustande brachten, der die Stu­denten nicht kompromittiert. Liberal reden und brutal ent­scheiden – das eine ist die Maske, das andere das wahre Ge­sicht professoraler Politik. – Kooperation mit Schülern – Daß gerade die Germanisten beginnen, mit den Schülern zusammen­zuarbeiten, hat seinen Grund darin, daß 85% der Germanistik­studenten später als Lehrer arbeiten werden. Zu einem Zeit­punkt, da der Versuch, die Universität kurz­fristig zu verändern, gescheitert ist und die Notwendigkeit einer langfristigen Orga­nisation zusammen mit anderen Gruppen außerhalb der Uni ein­sichtig wurde, fingen Teile der Basisgruppe Germanistik aus der Perspektive der Berufserwartung an, Kontakte zur Schülerbewegung zu suchen und selbst dort aktiv mitzuarbeiten. Denn natürlich kann es für uns nicht darum gehen, in unserer spä­teren Berufspraxis die Individuen in den autoritären Formen und über die funktionalen Inhalte so zu sozialisieren, wie das in der Technokratie in noch stärkerem Maße der Fall sein wird als bisher, sondern wir müssen darauf hinarbeiten, immer mehr In­dividuen, auch klassenmäßig privilegierte, aus der autoritären Sozialisation her­auszubrechen und für den Widerstand zu akti­vieren. Das Scheitern des Frankfurter SLB zeigt, daß einer syn­dikalistisch – berufsständi­schen Organisation eine solche Praxis nicht möglich ist, da einmal die Vereinzelung der linken Lehrer an den Schulen und zum anderen die auf Vertretung gewerk­schaftlicher Interessen bedachte Politik nur ängstliche Defen­sivrangeleien zuläßt, die nur allzuleicht zu kontrollieren sind. Die einzige Möglichkeit effektiver Arbeit an der Schule ist die kollektive Organisation derjenigen, die das revolutio­näre Subjekt der Schule sind: den Schülern. – Vorbereitung auf die Schulpra­xis heißt daher vordringlich die Aktivierung und Konsoli­dierung der Schülerbewegung. Allerdings muß man sich dabei vor der Il­lusion hüten, aus dieser Arbeit unmittelbar Handlungsanweisun­gen für den späteren Unterricht ziehen zu können. – II. – Kon­kret stel­len sich folgende Aufgaben für Studenten in der Schü­lerarbeit: Zur Zeit bestehen an einzelnen Schulen bereits Kader sozialistischer Schüler, an anderen Schulen müssen sie noch in­itiert werden. Die Hilfeleistung bei dem Aufbau solcher Kader an den einzelnen Schulen ist eine wichtige Funktion für Studenten. Abgesehen von technischen Hilfeleistungen können die Studenten auch durch Teilnahme an tak­tischen und strategischen Diskus­sionen bestehende Kader wirksam unterstützen, da diese Grup­pen, isoliert von der übrigen Schülerbe­wegung, oft Gefahr lau­fen, einen reformistischen Kurs einzuschlagen oder (und) ohne organisatorische Perspektive Aktion auf Aktion ab­zuziehen. – Zur Politisierung von Schülern scheint auch die Organi­sation auf Klassenebene noch Erfolgsaussichten zu haben. Die Dis­kussion über bestimmte Themen, die den Schülern von der Schule ver­weigert werden und daher für sie von besonderem Interesse sind, lassen sich Bewußtseinsprozesse in Gang setzen und Kenntnis ver­mitteln, die es auch bisher unpolitischen Schülern ermögli­chen, ge­sellschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen. In sol­chen Diskus­sionen haben die Studenten ihre Informationsvor­sprünge so einzu­bringen, daß die Schüler ohne äußeren Druck daraus lernen. Diese Klassenbasisgruppen sind eine Art experi­mentelle Wissensübermitt­lung, aus denen sich, nach etwas mehr Erfahrung, vielleicht Rück­schlüsse für die Praxis als Lehrer ziehen lassen. – Da sich erwiesen hat, daß die einzelnen Grup­pen so unmittelbar nicht koordinierbar sind, eine gemeinsame Strategie andererseits aber notwendig ist, um die Unsicherheit und die Fehler der Kader zu vermeiden, sollen für die Frank­furter Schülerbewegung drei Projektgruppen eingerichtet werden, die zu strategisch wichtigen Fragen der Schülerbewegung arbei­ten: 1. Schulung, wo die Veränderung der bisher praxisfremden und isolierten theoretischen Arbeit zugunsten kollektiver An­eignung sozialistischen Wissens vorbereitet werden soll, d.h. es sollen schulsoziologische Texte, Literatur zur Schülerbewegung, Psychoana­lyse, Politökonomie und Arbeiterbewegung zusammen­gestellt und For­men kollektiver Arbeit diskutiert werden. – 2. Technokratische Schulreform. Da die technokratischen Refor­men in Gestalt etwa der Oberstufenreform im Moment aktuell sind, ist es notwendig, sie zu analysieren und Agitationsmodelle dagegen zu erarbeiten. – 3. Organisation, Aktion und Agitation. Die bisherigen Aktions – und Agitationsmodelle der Schülerrevolte liefen auf eine Massenmobili­sierung der gesamten Schülerschaft hinaus, die organisatorisch auch deshalb folgenlos blieb, weil die klassenspezifische Situation der mobilisierten Zielgruppe nicht berücksichtigt wurde. Das macht die Reflexion nötig, wie in neue Aktions – und Agitationsformen von vornherein der Aspekt der späteren Organisation der mobilisierten Schülern hineingenommen werden kann. – Da die Studenten, die Schülerarbeit machen wollen, in der Teilnahme an diesen Projekten am meisten für die Arbeit in den Gruppen an den Schulen lernen können, müssen sie sich massenhaft daran beteiligen. – Als weitere Perspektive, die sich aus der Empirie der antiautoritären Bewegung auf dem Land ergeben hat, die zeigt, daß diese Schüler am ehesten poli­tisch zu erreichen sind und sich auch am ehesten organisieren, läßt sich die von Reisekadern angeben, die die Aufgabe einer Remo­bilisierung der Schülerrevolte auf dem Lande wahrzunehmen hätten. Voraussetzung dafür wäre, die Aufarbeitung einer Ana­lyse der un­terschiedlichen Sozialisation in Groß – und Klein­städten, da prakti­sche Erfahrungen aus den Metropolen nur sehr vorsichtig auf Land­gymnasien übertragen werden dürfen. Allein die dortigen sozialisti­schen Schüler in einen Kommunikationszu­sammenhang zu stellen, der AUSS nicht herstellen kann, und ihnen zu helfen, sich im aktiven Widerstand gegen Verhältnisse an den Schulen zu organisieren, die zum Großteil noch Relikte aus frühbürgerlichen Zeiten sind, wäre notwendig. – III. – Für die Organisation des Studiums ergeben sich zwei Rückschlüsse. – 1. Das Sozialisationsprojekt muß fortgesetzt werden, um langfri­stig wissenschaftlich fundierte Anleitungen für die revolutionäre Berufspraxis zu erarbeiten. – 2. Da einerseits die theoretische Arbeit kurzfristig Ergebnisse für die Arbeiten der Schülerbewe­gung liefern muß, es andererseits nicht angeht, daß wir im Se­minar Theorien auskochen, die wir dann den Schülern aufok­troyieren, müssen die drei Projektgruppen der Frankfurter Schü­lerbewegung, institutionell abgesichert, in der Universität statt­finden. Die Schüler sollen in der Uni nicht von uns, sondern mit uns lernen. Daß eine außeruniversitäre Gruppe sich Ar­beitsplätze in der Universität schafft, leitet eine Entwicklung ein, an deren Ende die Volksuniversität stehen wird. Eine Uni, die nicht mehr den Interes­sen des Industriekapitals, sondern der Emanzipation der unterdrück­ten Klassen dient. – Zusammenfas­sung – 1. Nicht mehr die, die bloß Beauftragte der Gewalttä­tigkeit sind, sondern die, die uns unter Ge­walt setzen, werden erleben, daß wir zurückschlagen. – 2. Die schwachsinnigen An­forderungen unseres Studiums bewältigen wir in kollektiver Selbsthilfe. Die Idiotie dieser Germanistik machen wir zum Prin­zip. – 3. Darüber hinaus werden wir die Abschaffung der Prü­fungen und studentische Seminare erkämpfen. – 4. Die freige­setzte Zeit verwenden wir für praktische Wissenschaft und wis­senschaftliche Praxis – a) im Bündnis mit sozialistischen Schü­lern – b) in der Vorbereitung auf die revolutionäre Berufspraxis und im Bündnis mit sozialistischen Lehrern – c) in der Aneig­nung soziali­stischen Wissens.“

Verfügung>10.07.1969>>Rektor an Studentenschaft: AStA-Info 10. Juli 1969 (Räumung Deutsches Seminar) wird in der Universität eingezogen

‘… Selbstverständlich werden die Polizeigermanisten aus der Jügelstraße ihr Vorgehen nachträglich mit der ‘hit and run’ – Aktion vom Freitag rechtfertigen. Mit dieser Ak­tion hat die Linke gelernt, wie man die Gewalt nicht den Mittels­männern, sondern den Schreibtischtätern selbst zurückgibt. Nicht mehr die, die bloß Beauftragte der Gewalt sind, sondern die, welche uns unter Gewalt setzen, werden erleben, daß zurückgeschlagen wird. Mit dieser Gegengewalt werden weiterhin Denunzianten, Relegateure und professorale Polizeispitzel zu rechnen haben. Den Eiern und Farbbeuteln sind Brackert und seine Kamarilla nur entgangen, weil sie sich der Forderung, in diesem Semester keine Veranstaltung mehr zu halten, gebeugt haben, und die Veranstaltungen für den Rest des Semesters eingestellt haben. – Denn: – Wenn wir uns in dieser Uni nicht mehr organisieren dürfen, ohne daß postwendend die bekannten Sirenen losheulen, dann sollen auch andere diese Geräusche fürchten lernen!…’.

Diese Androhungen erfüllen die Straftatbestände der Beamtennötigung und Beleidigung (§§ 114, 185 ff. StGB). Außerdem enthält diese Aufgabe verschiedene andere Beleidigungen. – Ich werde deswegen gegen die verantwortlichen Herausgeber der ‘AStA information’ und den Allgemeinen Studentenausschuß Strafanzeige aus allen rechtlichen Gründen erstatten und Strafantrag stellen. – Unter Berücksichtigung des strafbaren Inhalts der ‘AStA information’ habe ich als Hausherr und Rechtsaufsichtsbehörde angeordnet, daß im Universitäts – Hauptgebäude die ausgelegten Exemplare eingezogen werden. Ich verweise insoweit auf den Beschluß des Verwaltungsge­richts Frankfurt a/M. vom 20.1.1969 – Az.: II/1 – G – 2/69 in dem ausdrücklich betont wird, daß der Rektor in solchen Fällen berech­tigt ist, entsprechende Maßnahmen durchzuführen. – Sollte die Zei­tung weiter vertrieben werden, behalte ich mir weitere rechtliche Schritte – insbesondere gegen den Allgemeinen Studentenausschuß – vor.“

Brief>11.07.1969>>Oberstaatsanwalt an Polizeipräsidenten: Wegen Strafanzeige Rektor vom 26.06.1969

„Betr.: Ermittlungsverfahren gegen 49 Beschuldigte wegen der Zwischenfälle in der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main – Bezug: Aktenübersendung vom 1.7.1969, eingegangen am 2.7.1969 Tg.Nr. 51 273 bis 51 321/69 – Epp/Tre 2600 – 2648 – Als Anlage gebe ich die mir mit vorbezeichnetem Schreiben übersandten 49 Vorgänge nach Eintragung in das Js-Register – 4 Js 774/69 bis 4 Js 822/69 – zurück – Auf Grund des Inhalts der übersandten 49 Ermittlungsvorgänge kann gegen keinen der Beschuldigten ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt oder eine Anklage erhoben werden. In allen Fällen fehlt die Angabe von Beweismitteln für das Verhalten der einzelnen Beschuldigten. Dies gilt sowohl für den Strafantrag des Rektors der Universität, aus dem nicht hervorgeht, wer, was und wo gesehen hat, als auch für die Sistierungsanzeigen, in denen entgegen der von mir schon wiederholt vorgebrachten Bitte, wiederum kein Beamter als Zeuge dafür genannt ist, dass er den jeweils Beschuldigten festgenommen hat und unter welchen Umständen dies geschah. Ich bitte daher beschleunigt folgende ergänzende Ermittlungen durchzuführen:
1. Die Leiter des Polizeieinsatzes (POK Sachs und POK Schulz) sind als Zeugen darüber zu vernehmen, wann und von wem sie den Einsatzbefehl zum Vorgehen und zur Räumung des Germanistischen Instituts in der Jügelstraße erhalten haben. Welche Situation fanden sie beim Eintreffen mit ihrer Einheit vor? Wurden von ihnen oder von einer anderen Person die Studenten zum Verlassen des Instituts aufgefordert? In welcher Weise ging die Räumung vor sich? Können die Zeugen bekunden, dass alle 49 Beschuldigten aus den Seminarräumen von Angehörigen ihrer Einheit herausgeholt worden sind ? Welche Anhaltspunkte haben die Zeugen dafür, dass die Voraussetzungen eines Vergehens nach § 124 StGB ‑ Eindringen der Beschuldigten in das Institut in der Absicht Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen ‑ vorliegen? Wurde in dem Gebäude und in den Seminarräumen von den Beschuldigten mit Gewalt gegen Sachen oder gegen Personen vorgegangen? Wenn ja, was wurde beschädigt, wer wurde belästigt, in welcher Weise? Können die Zeugen angeben, ob sie selbst gesehen haben, dass die Glastür eingeschlagen wurde? Wenn nein, wer hat ihnen bei ihrem Eintreffen ggf. davon erzählt und käme somit als Zeuge für das gewaltsame ‑Eindringen in Frage?
2. Ferner bitte ich durch dementsprechende Feststellungen bei dem Germanistischen Institut um Ermittlung und Vernehmung derjenigen Zeugen, die an der Diskussion am 26.6.1969 um 14.15 Uhr im Hörsaal VI teilgenommen haben. Diese Zeugen sind sodann darüber zu vernehmen, wer im einzelnen was gesagt hat. Wer war der Wortführer? Unter wessen Anführung zogen die Studenten vor das Institut in die Jügelstraße? Ferner sind Zeugen zu ermitteln, die bekunden könnten, dass die Institutstür geschlossen und die Rollos heruntergelassen waren. Diese Zeugen mögen sich dazu äussern, wer ihnen bekanntgegeben hatte, dass eine Besetzung des Instituts beabsichtigt wie. Auf wessen Anordnung hin erfolgte die Schliessung der Institutstür und das Herablassen der Rollos? Die Zeugen sollen auch angeben, ob sie gesehen haben, wer von den ca. 100 Personen, die nach der Anzeige des Rektors vom 26.6.1969 vor das Institut gezogen sein sollen die Eingangstür eingeschlagen hat. Wer ist der Jemand, der durch die entstandene Glaslücke griff und von innen die Tür öffnete ? Kann einer der Zeugen mit Sicherheit bekunden, dass dieser Jemand sich unter denjenigen befunden hat, die später von der Polizei aus den Räumen entfernt wurden? Wohin sind die restlichen 51, bzw. 5o Personen gegangen, wenn nur 49 Fest­nahmen erfolgt sind ? Welche Zeitspanne ist zwischen dem Eindringen der 50 Personen in die Institutsräume und dem Eintreffen der Polizei vergangen ? Können die Zeugen (Dr. Frey, Dr. Schlosser sowie Prof. Brackert) bekunden, dass es sich bei den später in den Räumen von der Polizei festgenommenen Personen um diejenigen handelt, die nach dem gewaltsamen Öffnen der Tür einge­drungen sind oder besteht die Möglichkeit, dass bis zum Eintreffen der Polizei auch andere Studenten die Institutsräume betreten haben ? Wer unterrichtete von den Zeugen den Rektor der Universität? In welcher Weise geschah dies?
3. Rein vorsorglich bitte ich bei dem Rektor der Universität dahingehend vorstellig zu werden, dass das bisherige Ermittlungsergebnis für die Annahme eines schweren Hausfriedensbruchs nicht ausreicht und allenfalls einfacher Hausfriedensbruch in Frage kommt. Die Voraussetzungen für Landfriedensbruch dürften ebenfalls nicht vorliegen. Im Hinblick auf die Formulierung, der Strafanzeige vom 26.6.1969 ‚Betr. Strafanzeige wegen schweren Hausfriedenbruchs‘ dürfte es angezeigt sein, diesen Strafantrag dahingehend abzuändern, dass er aus allen rechtlichen Gesichtspunkten gestellt wird und somit sowohl den einfachen Hausfriedensbruch als auch möglicherweise begangene Sachbeschädigungen umfasst. Ich bitte die vorstehenden Ermittlungen bis spätestens 5.8.1969 durchzuführen, um zu gewährleisten, dass die Ahndung der Tat auf dem Fuße folgen kann. Im Auftrage gez. Pfeiffer Erster Staatsanwalt.


Brackert
Brackert
Brackert
Brackert

Offener Brief der am 26. Juni 1969 Festgenommenen an den Rektor:
Zur Besetzung des Deutschen Seminars am 26.06.1969

 „Herr Rüegg ist schlecht informiert und leidet offensichtlich an Ge­dächtnisschwund. Erstens haben wir in der AStA – Information Nr. 5 vom 10. Juli 1969 eindeutig dargestellt, daß wir im Deut­schen Se­minar, Jügelstraße, mit dem geschäftsführenden Direktor über die Minimalvoraussetzungen für die Zusammenarbeit mit Professoren – nämlich deren Ablehnung des drohenden Ordnungsrechts – diskutie­ren wollten. Zweitens schreibt Rüegg selbst in seiner Anzeige: ‘Etwa 14.45 Uhr beschloß die Voll­versammlung, das germanistische Institut von Prof. Brackert aufzusuchen und mit Herrn Prof. Brackert und dessen Assisten­ten zu diskutieren:’ – Demnach scheint also ausge­schlossen, daß Rüegg mit der abstrakten alternativen Frage ‘Diskussion oder Besetzung’ einen Sachverhalt aufhellen will, viel­mehr will er mit der Androhung juristischer Verfolgung von uns einen Kotau er­zwingen, eine Absage an die konkreten Formen stu­dentischer Politik, die noch immer in der Lage waren, das scheinhei­lige Geschwätz von der Demokratisierung der Universität qua Reform zu entlarven. – Natürlich wollten wir mit Brackert u.ä. ‘nur’ disku­tieren. Warum sollten wir auch die Intimstube Jügelstraße besetzen? Es hieße, studentische Politik mit dem Klassenkampf verwechseln, wenn wir in Analogie zur proletarischen Besetzung der Betriebe universitäre Studierklausen besetzen wollten. – Al­lerdings haben wir uns das Recht genommen – und werden es uns immer nehmen – von den universitären Machthabern eine klare Stellungnahme zu dem po­litischen Ereignis technokratische Reform abzuverlangen. Den Zwang, sich und sein politisches Verhalten zu legitimieren, werden wir wei­ter auf den Ordinarius ausüben, denn das ist der Weg ihn loszu­werden. – Die Festge­nommenen vom 26. Juni.“

Helmut Iver Brackert