Hans-Jürgen Birkholz,SHB

Hans-Jürgen Birkholz, Arbeitersohn, 2. Bildungsweg, Jurastudent, AStA-Vorsitzender ab 15. Juli 1967 bis Dezember 1968; Mitglied der SPD, IG Metall, HU, HSU und SHB; politisch engagierter Anti-Revolutionär, Gegner gewalttätiger Aktionen.

Nach der Zeit der Studentenbewegung ist Hans-Jürgen Birkholz: Vorsitzender des Naturschutzbeirates beim RP Darmstadt und des Mieterbundes Rüsselsheim, Beisitzer im SPD-Ortsvereinsvorstand Rüsselsheim.AG 60plus, auf Stadt- und Kreisebene aktiv, Bundesverdienstkreuz.

Hans-Jürgen Birkholz mit Horkheimer im Hörsaal
Hans-Jürgen Birkholz
Hans Jürgen Birkholz
Hans Jürgen Birkholz 2020
Hans-Jürgen Birkholz auf einem Teach-In
Hans-Jürgen Birkholz auf einem Teach-In

Personalien Birkkholz

„AStA – Vorsitzender seit Ende des SS 1967, Kreis – und Ortsvorstand der Jungsozialisten in Rüsselsheim, Mitglied der SPD, der IG Metall, der HU und der HSU, der sein Studium auf dem zweiten Bildungsweg aufbaut, nachdem er sieben Jahre als Gärtner in der DDR und BRD tätig war, sieht sein Amt – im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger – als politischen Auftrag und stützt sich dabei auf eine starke Hausmacht des links – bewußten Flügels im Parlament. Zu seinen Aufgaben und Zielen sagt er folgendes: – Dieser AStA faßt sein Amt als politisches Amt auf – nicht zuletzt deshalb, weil eine effektive Vertretung der studentischen Interessen ohne Einbeziehung der gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht möglich ist. – Es genügt nicht, mehr Geld für die Universitäten zu fordern, um möglichst vielen Studenten ein Studium zu ermöglichen, wenn wir gleichzeitig sehen, wohin dieses Geld heute fließe: in die Rüstung. – Wir können nicht die Freiheit von Forschung und Lehre täglich in Anspruch nehmen, ohne gegen ärgste Bedrohung zu protestieren: gegen die Notstandsgesetze. – Wenn wir sehen, daß Wissenschaft zur bloßen Ausbildung wird und ihre kritischen Potenzen unterdrückt werden, antworten wir darauf mit der Forderung nach mehr Mitsprache, nach einer Demokratisierung der Hochschulen. Eine Freiheit aber, die wir täglich in Anspruch nehmen, können wir anderen nicht verweigern: darum kämpfen wir an der Seite unserer ausländischen Kommilitonen gegen die Ausbeutung und Niederknüppelung der Völker der Dritten Welt. Weil wir gesehen haben, daß die herkömmlichen Methoden politischer Aktionen erfolglos bleiben, bedienen wir uns mehr und mehr gewerkschaftlicher Kampfmittel sowie der Methode der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. – Den Informationsvorsprung, den wir aufgrund unserer wissenschaftlichen Tätigkeit und unserer relativen Freiheit gegenüber den in den Produktionsprozeß eingespannten Menschen haben, wollen wir für eine sichtbare gesellschaftliche Praxis ausnutzen mit dem Ziel, ihn durch kritische Aufklärung zu verkleinern. Nur so erreichen wir Ansätze zu einer Demokratisierung der Gesellschaft, welche erst rationale Diskussion und damit kritische Wissenschaft, deren Erkenntnisse auch für gesellschaftliche Praxis relevant wären, zu ermöglichen hätte.

Diskus September/Oktober 1967 Nr.6, Seite 9

Birkholz berichtet rückschauend über seinen Werdegang

„Ich war drei Semester lang (WS 67/68, SS 68 und WS 67/68) AStA-Vorsitzender. In dieser Zeit war ich auch stellvertretender Vorsitzender des Studentenwerkes. Das Arbeitspensum forderte seinen Tribut, ich schaffte den Abschluss als Jurist nicht. Ich sattelte um, legte 1974 die Erste, 1976 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Haupt- und Realschulen ab, erhielt aber keine feste Anstellung. Ich bewarb mich dann erfolgreich (1976) bei der Stadt Rüsselsheim als Abteilungsleiter für die Jugendfreizeiteinrichtungen. 1979 wurde ich stellvertretender Kulturamtsleiter. 1996 wurde ich in das Schulverwaltungsamt versetzt. 2001 bis 2005 war ich Sachbearbeiter im städtischen Umweltamt in Rüsselsheim. Ehrenamtlich engagierte ich mich nach 1968 u. a. in den Gewerkschaften GEW und verdi, in der SPD, im Bund Umwelt und Naturschutz (BUND), im Bezirksnaturchutzbeirat beim Regierungspräsidium in Darmstadt (davon sechs Jahre als Vorsitzender, Schwerpunkte: Großprojekte in Südhessen wie Flughafenerweiterung, Neubau von ICE-Strecken, Ansiedlung von Großmärkten etc.), als Vorsitzender des Rüsselsheimer Mietervereins und als Sprecher der Nauheimer Bürgerinitiative gegen den Flughafenausbau in Frankfurt.

Zitat Seite 100 aus:

Birkholz wir am 16. Juli 1967 zum AStA-Vorsitzenden gewählt

Die Wahl Birkholz als AStA-Vorsitzender

Als AStA-Vorsitzender fordert Birkholz am 24. November 1967 für sämtliche Gremien der Universität
die Einführung der Drittelparität

Am 24. November 1967 findet eine studentische Vollversammlung statt. Als Vertreter der Studentenschaft tritt Birkholz an das Rednerpult. Er präsentiert eine Resolution. die vor Beginn als Flugblatt verteilt worden ist. Siehe hierzu das Flugblatt des AStA vom selben Tag. Vor allem wird in ihr die Einführung der sogenannten Drittelparität in allen Gremien der Universität gefordert. Die Resolution wir mit großer Mehrheit angenommen.

Die öffentliche Fragestunde von Rektor und Akademischem Senat
am 17. Januar 1968 und die Rolle von Birkholz

In einer öffentlichen Fragestunde am 17. Januar 1968, deren Adressaten Rektor und Akademischer Senat sind, greift Birkholz die zitierte Resolution vom 24. November 1967 auf und wendet sich gegen die Godesberger Rektorenerklärung vom 6. Januar 1968.

Am  23. Januar 1968 scheitert der 1. Versuch, Hans-Jürgen Birkholz abzuwählen

Die Vertreter des SDS und der AFS versuchen unter Hinweis auf das Verhalten Birkholz – nämlich Missachtung eines Studentenparlamentsbeschlusses in der Fragestunde des Senats am 12. Januar 1968 – dessen Abwahl zu erreichen. Dies scheitert bei 12 Ja-Stimmen gegen 11 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen. Hingegen tritt der bisherige Parlamentspräsident Klein, der kurz vorher erklärt, er sei nicht mehr SHB – Mitglied, von seinem Amt zurück. Seine Stelle nimmt das AFS – Mitglied Michael Wolf ein. (Niederschrift der Sitzung des Studentenparlaments vom 23.01.1968).

Datumsübersicht zur Rektoratsbesetzung und 3. Lesung Notstandsgesetz

  • Samstag, 25. Mai 1968
  • Sonntag, 26. Mai 1968
  • Montag, 27. Mai 1968 Beginn Besetzung des Rektorats
  • Dienstag, 28. Mai 1968 Besetzung des Rektorats
  • Mittwoch, 29. Mai 1968 3. Lesung Notstandsgesetz und Besetzung des Rektorats
  • Donnerstag, 30. Mai 1968 3. Lesung Notstandsgesetz und polizeiliche Räumung des Rektorats
  • Freitag, 31. Mai 1968

Am 27. Mai 1968 ruft Hans-Jürgen Birkholz als AStA-Vorsitzender und Mitglied des SHB anlässlich
der bevorstehenden 3. Lesung des Notstandsgesetzes zum Generalstreik auf

Ich streike, Du streikst, Generalstreik!“

In diesem an die Studentenschaft, die Arbeiter, die Gewerkschaften und die SPD gerichteten Aufruf wendet sich Birkholz alarmierend gegen das „Ermächtigungsgesetz„: Nach der Verabschiedung des Gesetzes werden angeblich an die Stelle von Arbeits- und Lernfreiheit die Arbeitsdienstverpflichtung und der Lernzwang treten. Um dies zu verhindern muss in den Betrieben, den Universitäten und Hochschulen der „Produktionsbetrieb“ am 27. Mai und in der laufenden Woche unterbrochen werden.

Drohend wird angekündigt:Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!

Dieses Flugblatt löst verschiedene Aktionen aus, die am selben Tag in der Rektoratsbesetzung münden.

Auch ein Streikkomitee ruft am 27. Mai 1968 zur Besetzung der Universität auf

„Besetzt die Universität!“

In diesem Zusammenhang ist zu beachten: Birkholz ist gleichzeitig auch im sogenannten Streikkomitee aktiv, das HSU, LSD, SDS und SHB gemeinsam bilden. Sitz dieses Aktionszentrums ist das Studentenhaus in der Jügelstraße. Dieses Komitee ruft parallel zum AStA nicht nur allgemein zum Generalstreik auf, sondern in einem Flugblatt vom selben Tag geht es nun konkret um die Besetzung der gesamten Universität.

„Rektor Rüegg und der Senat haben beschlossen, sämtliche Lehrveranstaltungen und Prüfungen in dieser Woche ausfallen zu lassen. Da sie den Lehrbetrieb, der die politische Situation ignoriert, nicht aufrechterhalten können, schicken sie die Notstandsgegner in Urlaub. Sie wollen dadurch verhindern, daß die Universität Organisationsbasis des praktischen Widerstands gegen die Notstandsdiktatur bleibt. Der autoritäre Verwaltungsbeschluß soll der wachsenden Solidarisierung unter den Studenten, Assistenten und Professoren, die sich am letzten Streiktag abzeichnete, die Grundlagen entziehen. Unser Widerstand soll sich totlaufen. HSU, LSD, SDS, SHB und andere politisch bewußte Studenten rufen daher mit dem Streikkomitee dazu auf, den politischen Streik als Besetzung der Universität fortzuführen.

Flugblatt vom Montag, den 27. Mai 1968

Die polizeiliche Räumung des Rektorats am 30. Mai 1968
und die Reaktion von Birkholz

In einem Schreiben vom 30. Mai 1968, das Birkholz an den Rektor und die Landesregierung richtet, reagiert er für die Studentenschaft apodiktisch auf die polizeiliche Räumung des Rektorats. Allerdings verzichtet er hierbei darauf, klarzustellen, ob er die Rektoratsbesetzung begrüßt oder ablehnt:

Die vor der Universität versammelte Studentenschaft stellt mit Mehrheit die folgenden Forderungen auf:

  1. Universität wird aufgefordert, sofort alle Disziplinarakten offenzulegen
  2. Die Universität wird aufgefordert, sofort alle Strafakten offenzulegen
  3. Die Universität wird aufgefordert, die Prüfungsakten offenzulegen
  4. Rektor, Senat und Fakultäten werden aufgefordert, ab sofort in Zukunft die Prüfungen öffentlich zu gestalten
  5. Die Studentenschaft fordert Landesregierung und Universität auf, die Polizei bis 15:00 Uhr aus der Universität abzuziehen
  6. Die Studentenschaft fordert, daß Rektor Rüegg vor der Studentenschaft Stellung zu seinem nächtlichen Bericht nimmt.
  7. Die Studenten fordern Rektorat, Senat und Landesregierung auf, zu garantieren, daß die Vorlesungen und Seminare weitergeführt werden können und daß vom 30. Mai 1968 bis 2. Juni 1968 der Widerstandskongress in den Räumen der Universität stattfindet.

Brief mit gleichem Wortlaut an die Landesregierung. gez. Hans Jürgen Birkholz – Vorsitzender des AStA.“

Am 31. Mai 1968 stellt sich der Hessische Wirtschaftsminister Arndt der Diskussion,
an der Birkholz teilnimmt

Am 11. Juni 1968 zweiter Versuch den „revisionistischen“ AStA – Vorsitzende Birkholz abzuwählen
Der SDS versucht, die Macht im Studentenparlament zu übernehmen

Die Frustration über das Scheitern der Aktionen im Zusammenhang mit der 3. Lesung der Notstandsgesetze am 29. Mai 1968 schlägt sich in der Sitzung des Studentenparlamentes am 11. Juni 1968 nieder, die von 20.00 Uhr bis 02.25 Uhr nachts dauert. Die im Flugblatt des SDS vom 10. Juni 1968 angekündigte Rückbesinnung auf Hochschulthemen und die Organisation des Widerstandes innerhalb der Universität legen es nahe, nicht nur Basisgruppen zu bilden, sondern sich umfassender der organisatorischen Möglichkeiten der verfassten Studentenschaft zu bedienen. Dies bedeutet vorrangig, den „revisionistischen“ AStA – Vorsitzenden Birkholz, der dem SHB angehört, zu entmachten und seine Position von einem SDSler einnehmen zu lassen, denn der AStA soll zum Zentrum der APO werden. Birkholz, der sich hauptsächlich mit der Administration befasst habe, könne jedenfalls diese neuen politischen Vorstellungen nicht „artikulieren“. Birkholz wehrt sich zwar mit dem Argument, der SDS sei völlig konzeptionslos, wenn er zwar zu Aktionen greife, diese aber nicht reflektiere. Dies kann den Abwahlbeschluss aber nicht verhindern: Mit 15 ja – und 9 nein – Stimmen bei 2 Enthaltungen wird dem Abwahlantrag entsprochen (Protokoll der Sitzung des Studentenparlaments vom 11.06.1968).

 Jedoch stellt sich anschließend rechtsaufsichtlich heraus: Der Abwahlbeschluss ist nicht wirksam

wird noch ausgeführt

 Dritter Abwahlversuch am 5. Dezember 1968: Thomas Hartmann neuer AStA – Vorsitzender

Ohne größere Diskussion – offenbar haben sich die Parlamentarier hierauf vorher geeinigt – wählt das Studentenparlament am 5.12.1968 bei 18 Anwesenden mit 15 Stimmen – darunter mit denjenigen der Fachschaftsvertreter Jura, Medizin, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften – bei zwei Enthaltungen Birkholz für die laufende Amtsperiode ab und bestimmen Thomas Hartmann (LSD) mit ebenfalls 15 Stimmen zum neuen AStA – Vorsitzenden.

Zudem beruft es auch für die folgende Amtsperiode (SS 1969 und WS 1969/70) Hartmann als AStA – Vorsitzenden. Lediglich der Parlamentarier Crell merkt kurz an, sie seien es den Sekretärinnen schuldig, Birkholz abzuwählen, der übrigens Verhandlungen über seine Einsetzung als Staatskommissar führe.[1] In der Folgezeit stellt es sich allerdings heraus: diese Abstimmungen sind wegen nachträglich festgestellter Beschlussfähigkeit des Gremiums nicht wirksam. Die fünf Fachschaften hatten auf Nachfrage nicht nachweisen können, daß ihre Vertreter ordnungsgemäß in das Studentenparlament gewählt worden sind. Damit müssen diese fünf Vertreter als nicht anwesend behandelt werden. Das Quorum ist damit um 2 Mitglieder unterschritten. Der Rektor als untere Rechtsaufsichtsbehörde zieht hieraus mit einer Verfügung vom 24.3.1969 die rechtliche Konsequenz und stellt die Rechtswidrigkeit der Abwahl Birkholz und der Wahl Hartmanns fest.[2] Im übrigen beschäftigt sich das Gremium mit einem Sammelsurium von eher absonderlichen Tagesordnungspunkten. Unter anderem beschließt man, den existierenden Studentenkindergarten antiautoritär umzugestalten und ihn einem Aktionsrat zur Befreiung von Frauen anzuvertrauen. Auch regt einer der Parlamentarier an, das alljährlich stattfindende Quartier Latin nunmehr zu politisieren. Oder Döbel bemängelt – eher ironisierend – die Tatsache, dass der studentische Schnelldienst jobsuchende Studenten als Nikoläuse vermittle.

[1] Niederschrift>05.12.1968>>Studentenparlament Sitzung: Abwahl Birkholz und Wahl AStA-Vorsitzender (Hartmann), usw.
[2] Niederschrift>05.12.1968>>Studentenparlament Sitzung: Abwahl Birkholz und Wahl AStA-Vorsitzender (Hartmann), usw.
Siehe auch: Interview mit der FAZ vom 30. August 2018: IM GESPRÄCH: HANS-JÜRGEN BIRKHOLZ: „Der Polizist befahl: Die Leute in Viererreihen ordnen!“
Siehe zudem Veit Fegers Erinnerungen an seine Zusammenarbeit mit Birkholz!

 Birkholz und das Schütte-Teach-In am 7. Januar 1969

Schütte und Birkholz

.Hans-Jürgen Birkholz nach fünfzig Jahren

Siehe Interview mit Hans-Jürgen Birkholz: Forschung Frankfurt, 2018, Nr. 1 – Die 68er:

Hans-Jürgen Birkholz, AStA-Vorsitzender an der Goethe-Universität von 1967 bis 1968, erinnert sich an sein ebenso forderndes wie vielfältiges Amt. Er bemängelt die seiner Ansicht nach einseitige Fokussierung vieler Rückblicke auf revolutionsverliebte Theoretiker.

Birkholz in einem Rückschauvideo

Siehe auch: Der Umweltpreisredner als Kämpfer gegen den Fluglärm! 

Zeitreise des ehemaligen Asta-Vorsitzenden

Von Polizisten weggeschleppt werden, halbnackt auf Matratzen sitzen und kiffen. Der 68er Hans-Jürgen Birkholz erinnert sich im Historischen Museum an alte Kämpfe. Von Anne Lemhöfer.

Frankfurter Rundschau vom 05.06.2008

Und wieder weg, das Bild.
‚Moment, Moment, wie mach‘ ich das zurück, hallo Sie da drüben, wie krieg ich jetzt den Carlo Schmid wieder auf den Schirm?‘
Hans-Jürgen Birkholz winkt einen Security-Menschen herbei; der kommt und zeigt ihm, wie das funktioniert mit den Filmdokumenten und den Monitoren in der 1968-Ausstellung im Historischen Museum. Hans-Jürgen Birkholz sucht nämlich eigentlich gar nicht Carlo Schmid. Er sucht sich selbst. Birkholz, mit 68 Jahren genauso alt wie das vergangene Jahrhundert im Sommer, um den sich hier alles dreht, war damals Asta-Vorsitzender der Frankfurter Goethe-Universität. Und beim berühmten Go-In in die Vorlesung des Professors und SPD-Abgeordneten Carlo Schmid dabei, als Studenten gegen die Notstandsgesetze protestierten. Birkholz, seit 46 Jahren Sozialdemokrat, sagt aber, er habe Schmid lediglich ‚abschirmen‘ wollen. Und dann ist das Bild da. ‚Da, da bin ich!‘ Birkholz piekt mit dem Zeigefinger auf die Mattscheibe, wo in Schwarz und Weiß drei Sekunden lang ein junger Mann mit großer Brille und Seitenscheitel neben dem Podium erscheint, und irgendwas ruft und irgendwie winkt. ‚Ich. Es gibt auch ein Bild, da stünde er eigentlich neben Max Horkheimer. Wenn der Fotograf ein bisschen weiter nach links fotografiert hätte. Das Bild hängt recht prominent platziert. Ohne Birkholz. Er tippt auf die kahle Stellwand zwei Zentimeter neben dem Rahmen. ‚Da – da stand ich.‘ Im Frankfurt der Studentenrevolte bewegte sich Birkholz im Zentrum. Im Mittelpunkt stand er nie. Die Filmsequenz. Die SDS-Berühmtheiten (‚mit dem Krahl bin ich im Auto immer zu den Demos nach Berlin gefahren‘), die Kinderladen-Bilder (‚Also da hatte ich ja gar nix mit am Hut‘), die alten Flugblätter mit all den schreibmaschinengetippten Sätzen, die mit ’nieder mit…‘ begannen (‚Dass es nicht nur die Umstürzler, sondern auch Reformer gab damals, das unterschlägt diese Ausstellung völlig‘): Hans-Jürgen Birkholz macht an diesem Vormittag eine Zeitreise. Die Exponate, sie sind seine eigene Geschichte. Oder Teile eines Puzzles, in das sein eigenes ’68 passgenau eingebettet ist, weil er bei allem dabei war. Eine Legende wie Rudi Dutschke, ein Promi wie Daniel Cohn-Bendit, ein Faszinosum wie Rainer Langhans ist der pensionierte städtische Angestellte aus Nauheim im Kreis Groß-Gerau trotzdem nicht geworden. 28 Jahre alt war Birkholz, als all die Bilder entstanden sind, auf denen die Menschen, deren Namen im Gegensatz zu seinem in den Geschichtsbüchern stehen, zu sehen sind. Wie sie in Megafone brüllen, von Polizisten weggeschleppt werden, halbnackt auf Matratzen sitzen und kiffen. Birkholz war nicht im SDS. Er war im Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB), er war verheiratet, und bewohnte keine Altbau-WG in Frankfurt-Bockenheim – sondern mit seiner Frau eine Dreizimmerwohnung in Rüsselsheim.
Asta besorgt Frauen die Pille
Er sagt, er habe sich immer als Reformer gesehen, nie als Radikaler. Klar war er dabei, als am Tag nach dem Dutschke-Attentat die Auslieferung der Bild-Zeitung verhindert werden sollte. Klar hat er sich bei Demos der Polizei entgegengestellt. Was denn sonst? ‚Das kann sich heute keiner mehr vorstellen, wie brutal die waren.‘ All die Strafanzeigen, die in seiner Rolle als Asta-Chef auf ihn einprasselten – Birkholz hat irgendwann einfach aufgehört zu zählen. Auch deshalb, glaubt der gelernte Lehrer, sei er nie in den Schuldienst übernommen worden. ‚Ich fiel wohl unter den Radikalenerlass.‘ Dabei hat er nie die Gesellschaft umstürzen wollen. Für den gerade freigewordenen Stuhl des Asta-Vorsitzenden hatte Birkholz sich nicht mit Solidaritätsadressen ans maoistische China empfohlen – sondern mit einem ziemlich pragmatischen Vorschlag: Der Asta sollte Studentinnen dabei helfen, sich die Pille zu besorgen. ‚So wurde ich schlagartig berühmt.‘ Wenn man ihn so sieht und hört, wie er seine Worte abwägt, wie er in den drei mitgebrachten Leitz-Ordnern voller 40 Jahre altem, auf lila Matrize gezogenem Asta-Verwaltungskram blättert, dann kann man sich vorstellen, dass er richtig liegt mit seiner Selbsteinschätzung: „‚ch war immer gegen Vereinfachungen.‘ Politik, findet Birkholz, ist kein Event. Sondern ein stetiger Prozess. Er ist später weder ins radikale Lager abgedriftet, noch strahlt der Vater von zwei erwachsenen Kindern heute auch nur einen Funken neuer Bürgerlichkeit aus. Ein unermüdlich Engagierter, der fernab jeden Glamours seinen Weg gegangen ist. Egal, ob im Fokus der Geschichte oder nicht. Bürgerinitiative statt K-Gruppe. Lange hat Birkholz als Sprecher der BIs gegen den Flughafenausbau Zehntausende vertreten. Erst kürzlich hat er auf einer Demo in Bonn gesprochen. Es ging um Gentechnik.“

Frankfurter Rundschau vom 05.06.200

Die Rolle des AStA-Vorsitzenden Hans-Jürgen Birkholz

Welche politische Rolle in seiner Amtszeit als AStA Vorsitzender einnimmt, veranschaulicht überaus deutlich ein Statement, das er auf Nachfrage des Spiegels zu der folgenden gewagten Revolutions-These von Hans Magnus Enzensberger abgibt:

Birkholz Studentenbewegung

Birkholz reagiert gelassen, pragmatisch und abwägend:

Der Spiegel fragte: Ist eine Revolution unvermeidlich? – 42 Antworten auf eine Alternative von Enzensberger, Hrsg. von Walter Busse